Ich finde das „Problem der Unberechenbarkeit“ in der ganzen äähm...."Diskussion"
recht interessant. Und dabei geht es mehr um die Spielerperspektive, und weniger um die Charperspektive:
Freiheit ist natürlich schön und gut, bitte versteh mich nicht falsch, Ido. Allerdings schränkt man ab einem gewissen Grade der „Freiheit“ auch die „Freiheit“ der anderen ein. Deswegen halte ich auch eine „allzu“ magische, kreative Welt mit „allzu“ vielen Möglichkeiten für ein Rollenspiel mit mehreren SCs (anders als im PnP) etwas bedenklich. Es muss ein gewisser Grad an Vorhersehbarkeit da sein, damit man sein Gegenüber einschätzen und sich ihm gegenüber (vielleicht auch strategisch) verhalten kann. Das „Strategische“, man könnte es auch manipulativ nennen, gehört für mich zu jedem Rollen-Spiel dazu. Eine Rolle definiert sich ja vor allem auch in der Interaktion mit anderen, bzw. wird die Reaktion der anderen auf das Selbst ja bereits antizipiert. Wenn nun diese Interaktion nicht möglich ist, weil sich das Gegenüber ganz frei/unberechenbar verhält und ich es nicht einschätzen kann, dann fällt man aus der Rolle. Ich kann mir schon vorstellen, dass es kränkt, wenn man als Drow oder was auch immer, alle Register zieht, um jemanden einzuschüchtern, aber der erwünschte Effekt beim gegenüber einfach ausbleibt. Würde man die Handlung des Rollenspiels als Film sehen, gäbe es hier einen Filmriss, aus einem Thriller wird plötzlich eine Persiflage. Die Freiheit (seine Rolle auszuspielen) des einen geht dann auf Kosten der Freiheit des anderen. Und das passiert wahrscheinlich häufig mit "ausgefallenen" Charakteren: die anderen Charaktere (bzw Spieler) wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen und können nicht in ihren Rollen bleiben, was wiederum Spielspaß kostet. Das sind wahrscheinlich unangenehme Stress-Situationen für Spieler.
Viele Rollen führen ja auch ganz eindeutig auf Eskalation hinaus. Es ist quasi rollenkonform, sich eskalierend zu verhalten. Zu einer Helden-Rolle gehört es dazu, trotzig zu sein, nicht nachzugeben, zurück zu reden. Je nach genauem Heldenbild wird der eine zornig knurren, die schöne coole Heldin erträgt es vielleicht still mit eisigen Raubtier-Blicken, der impulsive Held beschimpft, usw. Ein rollenkonformes Verhalten auf beiden Seiten kann also auch in einem Zusammenprall enden.
Normalerweise wird so ein „Rollenkonflikt“ dann im physischen Kampf gelöst. So eine physische Konfrontation sieht ja auch das Regelwerk vor, auch wenn ich meine, dass die Regeln für physische Konflikte genauso zu dummen Situationen führen können wie die für psychische. Physisch beugen sich Charaktere schon einmal, das ist akzeptiert, man kann ja sogar im Leiden Held sein. Tatsächlich ergötzen wir uns doch jeden Abend im TV oder eben im Rollenspiel an höchst ästhetisch leidenden Helden. Aber psychisch nachgeben, das geht eben nicht. Wer sich psychisch beugt, der ist kein Held mehr. Jesus hat ja auch nicht am Kreuz widerrufen und gemeint: "Okay, ihr habt recht, war eigentlich alles Mist was ich gesagt habe!" Und obendrein hat er noch Recht behalten, wenn man die Geschichte weiter liest!
Yeah, was für ein cooles Ende! Auferstehung! Ein modernerer Jesus hätte Pontius wahrscheinlich umgeknallt. Und damals sind ja auch nicht die Römer dahergelaufen gekommen, um sich beim Ressigeur ganz phantasielos zu beschweren: "Na hört mal, rein psychologisch gesehen ist das doch alles Quatsch! Der muss sich beugen!" Allerdings hatten die Römer auch nie den Anspruch, Helden zu sein. Ihre Rolle ist die der Bösewichte, die i.d.R. von SLs/NSCs übernommen wird.
Im physischen Kampf muss man nicht aus der Rolle fallen: es gibt eine Siegerrolle und eine Verliererrolle, beide sind akzeptabel und man ist, denke ich, auch als Verlierer eines Kampfes nicht allzu sehr gekränkt, wenn man die Verliererrolle ausspielen muss. Aber was macht jetzt ein erfolgloser Einschüchterer? Es ist sicherlich keine leichte Situation für den Spieler des Einschüchterers, möchte ich meinen. Durch Kampf lässt sich das nicht lösen. Wer fällt also aus seiner Rolle? Wer gibt nach? Ein Drow würde wohl seiner Rolle treu bleiben, würde er den Einzuschüchternden umbringen. Andere Lösungen gibt das mal mehr, mal weniger flexible Rollenkonzept/Charkonzept wahrscheinlich nicht her. Alles andere wäre "unrealistisch". Aber wir sollten natürlich die Spieler hinter den Charakteren sehen, und nicht nur die Rollen. Und von dem was ich hier lese, ist in der konkreten Situation ja auch durchaus Rücksicht genommen worden, auch wenn es leider keine ooc-Verständigung darüber gegeben hat. Letztlich bleibt es dann eine Machtfrage. Wer wird aus seiner Rolle gezwungen? Für wen ist das Heldendasein zu Ende? Wer gibt einen Teil seines "Charakters" auf? Natürlich ist es dann auch legitim, mit "situativen Zwängen" zu argumentieren, die ja auch einen großen (!) Teil des Rollenspiels ausmachen, egal, ob das eben eine Taverne voller rauhbeiniger Milizionäre und Hafenarbeiter ist, in der es laut zugeht und in der man unter sich bleiben will, oder eben der Folterkeller. Charkonzepte, die einen Charakter von diesen situativen Zwängen gänzlich unabhängig machen, sind in diesem Sinne eben nicht ganz unproblematisch, aber eben sehr beliebt (--> Helden).
Es ist halt schwierig, wenn so viele Helden auf Rivin herum laufen. Wenn Helden dauernd rollenkonform handeln würden, gäbe es wahrscheinlich viel mehr Tote. Ich bin bekanntlich ein Anhänger der Fraktion für mehr „Rollen-Spiel“ und weniger „Helden-Spiel“. Aber auch dort hört die Freiheit sehr schnell auf, und für mich ganz unverständlicherweise. In einer Stadt, die von Drachen überflogen wird, ist es (m)einem Charakter ja nicht einmal erlaubt, mit Hehlerware zu handeln, egal, ob er ig-Argumente vorbringt oder auch darauf hingeskillt wurde. Das halte ich beispielsweise für eine ungerechte und unbegründete Beschränkung der Freiheit, die mir viel Spielspaß und Motivation nimmt und SL-Aufrufe zu „Eigeninitiative“ ad absurdum führt. Es wäre wirklich eine Kleinigkeit. Hingegen wird erwartet, dass sich mein Char rollenuntypisch verhält, wahrscheinlich, um damit die Rollen anderer Charaktere (die anscheinend irgendwas anders machen als ich?) zu "vervollständigen". Diesen Eindruck habe ich jedenfalls gewonnen. Das wäre für mich mein persönlicher "Konformitätsdruck" auf Rivin.
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Charaktere:
Flammo (inaktiv) - galanter, geschleckter Lackaffe, Cavalier und Stadtratskandidat
Lothlann (inaktiv) - anerkennungssüchtiger, sembischer Wirt und barocker Antiheld
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