Ein Denkanstoß dazu mehr Ungenauigkeit im Rollenspiel zu wagen.
Was ist präzise Ungenauigkeit?
Präzise Ungenauigkeit ist ein Konzept, dass sich weitläufig in Prosa vor allem in mittelalterorientiertem Fantasy oder generell mittelalterlicher Literatur findet. Es bedeutet Angaben durch Ungenauigkeit soweit zu präzisieren, dass jeder Leser eine präzise Vorstellung davon hat und doch nicht exakt quantitativ benennen könnte.
Es ist die Kunst eine hinreichend präzise Aussage ohne eine genaue Aussage zu machen.
Oder auch zu reden ohne viel zu sagen.
Warum ist das von Vorteil?
Ich rege die Fantasie des Lesers an sich mit der Aussage zu befassen, sie in Relationen zu setzen und darüber nachzudenken was genau gemeint sein könnte, dadurch entsteht geistige Interaktion mit der Aussage die ansonsten aufgrund ihrer Abgeschlossenheit schlichtweg abgehakt werden würde. Es gibt für den Geist nichts mehr nachzudenken, mathematisch ist das der Unterschied zwischen: 1 + 3 = 4 und 1 + x = 4
Im zweiten Fall muss ich mir zumindest Gedanken machen was das x ist und mich mit dem Term befassen (das Beispiel ist natürlich bewusst sehr simpel gewählt um das Prinzip zu verdeutlichen
)
Dadurch ziehe ich den Leser mehr in meine Welt hinein - Immersion.
Immersion ist ein sehr wichtiger Aspekt guten Rollenspiels.
Darüber hinaus befreie ich mich und Leser aber auch von der Fessel der Genauigkeit, die sich der Geist so gerne auferlegen möchte. Diese abzustreifen ist aber wichtig um verzaubert zu werden. Es symbolisiert die Tatsache, dass insbesondere in brenzligen Situationen eine genaue Einschätzung der Lage schwer möglich ist.
"Fünf oder sechs Schritt vielleicht"
Hierin steckt die Tatsache, dass der Charakter die Distanz in seinen Schritten misst - ein sehr ungenaues Verfahren das zugleich persönlich ist, da jeder eine andere Schrittlänge hat. Es wird ein Spielraum angegeben von fünf oder sechs. Das schwammige Messinstrument wird also noch um zusätzliche Ungenauigkeit angereichert. Und letztendlich steht da noch ein vielleicht, das ebenfalls nicht für eine genaue Aussage steht.
Und trotz allem kann sich jeder Leser in seinem Kopf eine Distanz vorstellen und niemand wird sich massiv vertan haben - oder besser gesagt: Für den Sinn und Zweck unangemessen vertan haben. Raketenphysiker sollen es bitte weiter sehr genau nehmen, aber wir machen hier ja keine Raketenphysik
Woher kommt dieses Phänomen?
Das hat in unserem Fall zwei Gründe:
1. Unser Geist sehnt sich nach Genauigkeit. Ungewissheit bereitet Unsicherheit, Unsicherheit ist schlecht. Wir haben hier aber keinen Grund Angst zu haben und entsagen uns durch diesen Instinkt der Möglichkeit das mit uns geschehen zu lassen, was eigentlich unser Ziel ist.
2. Das Regelbuch macht es exzellent vor wie man es nicht machen sollte. Regeln benötigen leider oft sehr viel Genauigkeit. Hat der Feuerball nun 6 oder 7 Meter Wirkungsradius? Das könnte immens wichtig sein, wenn man es sehr genau nehmen möchte.
Muss man? Hängt natürlich immer vom Leitungsstil des SL ab. Spielleiter die gern mit Bodenplan leiten neigen dazu, da sehr genau drauf zu achten. Andere legen es einfach in ihr Ermessen (WILLKÜR!!!
) wer vom Feuerball noch getroffen wird und wer nicht. Wir müssen uns diese Genauigkeit also aneignen und wenn wir das getan haben lernen, sie wie einen Handschuh an- und abzustreifen.
Wie also mit dem Widerspruch umgehen?
Im Punkt Magie beispielsweise wird uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass Zauber in Zaubergrade eingeteilt werden. Das ist notwendig um genau bestimmen zu können welche Gaben der Charakter aus OOC Sicht noch zur Verfügung hat. Als Spieler möchte man halt wissen ob man noch einmal Feuerball werfen kann oder nicht. Der SL muss das wissen, alle müssen das wissen. Es ist schlichtweg notwendig weil es eine Frage ist die keinen Messspielraum zulässt, es ist eine Ja oder Nein Frage und zwar nicht eine konstruierte (Sind es 5 Meter - Ja oder Nein?) sondern eine echte: Ja, ich kann diesen Zauber wirken, nein ich kann ihn nicht wirken.
Das muss der Charakter aber nicht wissen. Er geht in sich und erwägt ob er die Kraft für diesen Zauber noch aufbringen kann... ja, kann er vielleicht. Es ist für den Charakter völlig unerheblich, dass ich die Antwort kenne.
Diese Trennung nennt sich im allgemeinen OOC-Wissen und manch einer bricht zu Proteststürmen aus wenn auch nur der Ansatz einer Nutzung dieses Wissens besteht - außer man bescheißt seinen eigenen Charakter, darüber beschwert man sich weniger. Bescheißen tut man ihn nämlich um sein Rollenspiel bzw. seine Rolle.
Zurück zur Einteilung in Zaubergrade. Ich weiß also, dass ein Feuerball ein Grad 3 Zauber ist, ich weiß weiter, dass ich noch einen Grad 3 Slot zur Verfügung habe (Ich spiele eine Hexenmeisterin, ich mache das spontan
) und aus der Summe dieser Informationen addiere ich das Ergebnis: Ja, ich kann einen Feuerball schmeißen.
Für meinen Charakter stellt sich diese Genauigkeit allerdings nicht dar. Vor allem nicht wenn ein übellauniger Dämon wieder einmal eindrucksvoll demonstriert, dass er von Zahnhygiene und Mundgeruchsbekämpfung wenig hält. Tatsächlich kann man sich dadurch Heroik konstruieren und zwar Gratis!
Vom Standpunkt "vielleicht schaffe ich das noch..." aus besehen ist das Gelingen den Zauber freizusetzen wesentlich eindrucksvoller als vom Standpunkt aus "Ja, klar kein Problem".
Mit passender Darstellungsweise kann das im Ergebnis dazu führen, dass der Charakter von seinen Begleitern anstelle von Gleichgültigkeit ein anerkennendes Schulterklopfen erhält.
Insbesondere möchte ich noch den Punkt Informationsbeschaffung und Magie ansprechen:
Es ist hohe Kunst eines Spielers aus genauen Informationen eines Spielleiters oder Regelbuches ungenaue Informationen zu generieren. Meine Hexenmeisterin beispielsweise besitzt zwei Zauber mit denen sie einem Spielleiter richtig schön in die Suppe spucken kann: Arkaner Blick und Zauber Analysieren.
Erster funktioniert wie ein mächtiges Magie Entdecken, dass sofort sämtliche Informationen preisgibt welche der kleine Bruder über den Zeitraum von 3 Kampfrunden präsentieren würde und zusätzlich sagt welches der maximale Zaubergrad ist den Kreaturen im Wirkungsbereich wirken können und ob diese Arkan oder Göttlich sind. Zweiter erlaubt es einen magischen Effekt, einen Gegenstand oder eine Person zu untersuchen und sofort sämtliche Zauber, ihre Funktionsweise und dauerhaften Verzauberungen die sich auf Kreatur oder Gegenstand befinden zu erkennen. In Kombination, kann man damit viele magischen Geschütze ziemlich entschärfen.
Es sei noch ein völlig anderes Thema, dass Zauber eigentlich nur Opfergaben darstellen die man dem Spielleiter darbietet und es in seinem Ermessen belässt wie der Spielleiter diese Opfergaben mit Informationen belohnt und die Regelbücher nur einen Hinweis darauf bieten sollten, welche Belohnung für diese Opfergabe üblicherweise angemessen ist, aber das ist ist ein Thema für einen anderen Artikel.
Manch ein Spielleiter mag nun geneigt sein, der Menge an Informationen die er verwalten muss wegen, mir zu sagen: " Grad 7 Arkan, mehrere Zauberauren: Bannzauber (Stark), Bannzauber (Mittelstark), Hervorrufung (Schwach)"
In der nächsten Runde wirke ich dann Zauber Analysieren und lasse mir vom Spielleiter noch sagen welche Zauber das konkret sind und oh, was kann die Robe von ihm noch gleich?
Jetzt kann ich zwei Dinge machen: 1. Diese Informationen praktisch wort für wort an meine Gruppe weitergeben. Damit habe ich meinen Job als Magieanalysetool optimal bewerstelligt und kann mich glorreich rühmen, dass meine Spielfigur ein Werkzeug zur Magieanalyse ist, leider aber kein Rollenspielcharakter.
2. Mit diesen Informationen spielen.
Mein Charakter beherrscht Zaubergrad 8, dieser Magier oder Hexenmeister dort hat also 1 Zaubergrad weniger zur Verfügung, ist vermutlich Stufe 13 oder 14 und die Art der Zauber die auf ihm liegen gibt mir Ansätze darüber wie man ihn am besten angreifen könnte und welche Ressourcen er bereits verbraucht hat.
Ich kann nun hingehen und zunächst den stärksten Zauber den er auf sich gewirkt hat ausrufen: Zauber Zurückwerfen. Weil mein Charakter aber einen anderen Hintergrund für Magie hat und weil "Zauber zurückwerfen" sich prosaisch merkwürdig anmutet sage ich nun: "Ah, der Bann des Zauberspiegels - machtvoll - kleidet die Robe die Ihr Euer eigen nennt fabelhaft." Den Zauber findet man so nicht im Regelbuch, also selbst wenn meine Mitmagier jetzt dort nachschlagen gehen sie leer aus, aber der Name des Zaubers lässt mit Nachdenken darauf schließen welcher Zauber gemeint sein könnte oder was der ungefähre Effekt sein könnte. In jedem Falle überlegen sie es sich jetzt zweimal den Zauberwirker dort mit Zaubern anzugreifen. Zeitgleich bin ich noch völlig im Geschäft und habe meine Nützlichkeit lange nicht erbracht, denn offensichtlich habe ich eine Anspielung auf die Robe gemacht mit der sie nichts anfangen können, die aber zur Vorsicht mahnt. Vielleicht ist die Robe gut gegen Nahkampfangriffe...? Genau, das weiß mein Charakter nämlich. Der Kämpfer der Gruppe umgreift sein Schwert nun fester und will auf den Magier einstürmen - Von Waffenschutz hat mein Charakter ja nichts gesagt woraufhin mein Charakter kommentiert: "Das würde ich unterlassen, wenn du morgen nicht den Beinamen "Stummelsäbel" tragen möchtest." Der Kämpfer ist davon natürlich irritiert und vorsichtig geworden. Ich habe ihm vermittelt, dass die Robe vermutlich so beschaffen ist, dass sie das Schwert des Kämpfers zerstören würde, ohne zu sagen "Die Robe zerstört Waffen".
Was habe ich damit erreicht? Ich habe meinen Charakter gespielt, ich habe mich als nützlich erwiesen, ich habe meine Begleiter vor der Gefahr gewarnt, aber ich habe damit zusätzlich die Magie als das Wunder dargestellt, dass sie ist und Magier nicht als Summe von Regeln. Damit gewinnt vor allem die Spielwelt und die Magie an Zauber.
Und der SL fands sicherlich auch Klasse, dass ich seinen ausgedachten Antagonisten nicht auf ein paar Spielwerte reduziert habe
Und das ich mich eine Weile damit beschäftigen könnte andere Charaktere darüber rätseln zu lassen was die "Littanei der wachenden Feste" bewirkt, sei nur mal am Rande erwähnt.
Ironischerweise erfordert eben dieses ganze Spiel wiederum hohe Regelkenntnis, andernfalls erzählt man nur Unsinn.
Hier ist der Begriff "Technobabble" noch erwähnt, der aus dem Sci-Fi stammt.
"Kehren Sie die Polarität der Schilde um."
Das hat vermutlich jeder Trekkie schonmal gehört, aber was zur Hölle heißt der Mist eigentlich?
Ja, genau... garnichts. Es klingt irgendwie nach Technologie und als hätte man voll die Ahnung... aber eigentlich ist es Unfug.
Ähnliches kann man sich auch in der Magiewelt zu Nutze machen.
Fazit:
Ungenaue Aussagen führen (besonders wenn es um Magie geht) zu mehr Rollenspiel und verleihen der Spielwelt mehr Zauber.