Tief sog der Barde die eiskalte Luft ein, die Hände in die Hüfte gestemmt und gradezu triumphal am Bug stehend. Eiskalter Wind, welcher der Gegend so vortrefflich zu ihrem Namen verholfen hatte, strich pfeifend über das Deck. Und mit einem gehörigen Frösteln und Bibbern zog der Barde sofort den Umhang, den er, seit sie nun in nördlichere und vor allem damit auch kältere Regionen übergegangen waren, äußerst widerwillig nun trug, fester um die Schultern und begann sich die Oberarme zu reiben. Was für eine Ödnis! Warum genau lebten Menschen hier? Waren das überhaupt Menschen? Bisher hatte er keine Menschenseele mehr gesehen. Vermutlich waren alle lebenden Bewohner dieser Umwelt nur Eiszwerge. Wenn gewöhnliche Stumpen aus Felsen geboren wurden, dann sicher hier einige aus Eiszapfen. Anders konnte man hier sicherlich nicht auf Vermehrung irgendwelcher Lebensformen hoffen. Mit einem weiteren Schaudern erinnerte er sich, wie er eines Morgens, noch benebelt von der Nacht zuvor, an Deck gegangen war, mit einem verschlafenen und trägen Pfeifen sich an das Heck des Schiffes begeben hatte, um dem strahlenden Ruf der Natur zu frönen und dann … Nicht dran denken! Warum hatte der Eiswind nur in diesem Moment grade von Süden auffrischen müssen … Ein Kopfschütteln folgte. Nein, das war niemals passiert. Einfacher … Schneehagel aus Süden, nichts besonderes. Eifrig rieb der Barde sich die Hände aneinander und betrachtete die unwirtliche Umgebung eingehend. Und auch sie. Dieses Lächeln. So selig, so ehrlich, so wahrlich erfüllt von der göttlichen Schönheit, die sich jenen offenbarte, die wirklich sehen vermochten, den Funken jenes Genies in ihr Inneres sogen, der dies hier hervorgebracht hatte. Es war widerlich. Ilva war schon zuvor … anstrengend, ja, das war diplomatisch genug, anstrengend war sie gewesen. Aber seitdem sie auch noch fröhlich und … beglückt war. Das war fast zuviel. Aber er ertrug es. All die Mater mit einem heiteren Lächeln. Immerhin, es konnte immer schlimmer kommen. Und letztlich war es ja nicht so als wäre er am Ende der Welt … Verdammt, doch das war er! Auf einem Schiff voller nordischer Spinner, mitten im Eis, umgeben nur von Tod und Unheil, Kälte und … nun ja Ilva. Und noch schlimmer! - ja, jetzt wo er drüber nachdachte wurde es irgendwie doch immer schlimmer - er musste hier arbeiten. Arbeiten! Wie der missmutige Blick des Matrosen hinter ihm sagte, war er damit auch noch nicht fertig. Mit einem gutmütigen Zwinkern wandte sich der Barde von dem Mann ab und machte sich dann wieder ans Werk die Takelage und die Segel von dem stetig wiederkehrenden Eis zu befreien. Wozu eigentlich? Eis und Schnee waren hier so ständige Begleiter wie Geschlechtskrankheiten bei den Hafenhuren. Sie kehrten immer wieder und wollten sich nie gänzlich vertreiben lassen. Er hatte schon überlegt, ob er nicht einfach mit etwas Zunder aus den Fingerspitzen sich die Arbeit sparen konnte - das war immer gut sich Arbeit zu sparen -, aber er hatte doch die unangenehme Vorahnung, dass er etwas über das Ziel hinausschießen würde (was ihm sonst natürlich nie passierte!, aber es gab für alles ein erstes Mal) und er damit das Segel vielleicht in Brand steckte … und er wollte ganz gewiss nicht hier im Nirgendwo mit einer marodierenden Bande von Nordleuten, die zusahen, wie er ihre einzige Fahrkarte in Wärme und Geborgenheit niederbrannte, feststecken, nein, ganz gewiss nicht. Also blieb nur eins. Lächeln und frohen Mutes sich an die Arbeit machen. Und auf die Finger aufpassen, die waren wichtig. Für Zauberkunst. Und anderes. So begann der Barde eine muntere Arbeitswaise, die er in Amn aufgeschnappt hatte, vor sich hin zu pfeifen. Ja, das waren noch Zeiten, als er Leuten beim Arbeiten zugesehen hatte … er hatte ihnen solange zugesehen und zugehört, bis er das Lied auswendig konnte. Stattdessen nun nur Regen, Schnee, Eis und nun ganz originell: Eisregen. Mühsam unterdrückte der Barde einen Seufzer. Seine Herrin hatte ihn offenbar wirklich ins Auge gefasst. Nicht, dass er es ihr hätte verdenken können, er bewunderte sich natürlich auch jeden Morgen mindestens eine Stunde in etwas, das sein Antlitz halbwegs akkurat wiedergeben konnte, aber zuweilen war er auch sehr froh darum übersehen zu werden, wenn es um derlei Geschicke ging. Das wäre ja alles schon schauderhaft genug gewesen, aber nun ging der Ruf nach Ilva um, dass sie sich beim Kapitän einfinden sollte. Eigentlich war das ja nicht sonderlich schlimm, aber der längere Blick, den sie ihm schenkte, ließ ihn frösteln. Waren es ihre Augen? Oder der Eiswind? Nein, sicher ihre Augen. Die waren immerhin schön. Schön und bösartig auf ihre Weise. Oh nein, jetzt ging sie auf ihn zu! Schnell, arbeiten, arbeiten … Etwas perplex blickte er auf das Segel, das er eigentlich hatte von Eis befreien wollen, aber stattdessen in seiner Gedankenverlorenheit lediglich Noten in das Eis gestanzt hatte. Wie hatte er das gemacht ohne es zu bemerken? Verdammt, sie würde ihn sicher rügen, wie immer. Und ehe er es sich versah, ging es auch schon hinab in den Schiffsbauch, den Gang entlang zur Kammer von Tiri. Unwillkürlich zuckte die Rechte des Barden an sein Kinn. Astiria natürlich. Das sollte er lieber nicht vergessen. Das letzte Mal … nein, das war noch schauderhafter als der südliche Eishagel. Er hatte sich auf dem Tisch locker abgestützt, es wirkte so locker und gelöst die Runde … er war galant gewesen, galant! Vielleicht war es das kecke Zwinkern gewesen, als er ihren Namen aussprach. Aber irgendwie glaubte er, dass sie überhaupt nicht, zumindest nicht von ihm, so angesprochen werden wollte. Denn kaum hatte er nach seinem Humpen darauf gegriffen und angehoben, war er in das so ersehnte Reich der Himmel eingekehrt. Er erinnerte sich ganz genau, wie wundersam und doch wunderbar es dort war. Flatternd zog er seine Bahnen durch das Gewirr von Blitzen und Sternen. Ach, welch Höhenflug des Geistes! Zugegeben, das Erwachen danach war eher schmerzhaft gewesen. Und der Geschmack von seinem eigenen Blut im Munde war auch etwas, an das er sich niemals gewöhnen wollte. Wie viele Tage war er ausgetreten? Er versuchte sich angestrengt zu erinnern, was ihm die lachenden Matrosen gesagt hatten. Zwei? Drei? Tage? Zehntage? Verdammt, er wusste es nicht mehr. Bei dem Kinnharken, den der Kapitän drauf hatte, hätten es auch Jahre sein können. Welch eine Verschwendung seiner herrlichen Stimme! Aber er war durchaus dankbar, dass er nicht seine Zunge dabei verloren hatte. Ein äußerst häufiges Berufsrisiko, welchem schon viele seiner Kollegen erlegen waren. Eben macht man der Bedienung nur schöne Augen, stellt dann schon fest, dass sie die jungfräuliche Tochter des Wirts war, natürlich ein in den Ruhestand getretener Abenteurer, will sich darauf noch eilig aus der Affäre ziehen, hat die Worte schon auf der Zunge und ZACK war das gute Stück ab. Er hatte, kaum war er wieder bei Sinnen, oder zumindest soweit, wie er das sonst war und doch nicht war, ein kleines Dankopfer dargebracht. Die Zunge brauchte er auch noch. Für Zauberkunst. Und anderes. Mit einem Blinzeln stellte der Barde fest, dass er schon in der Kajüte stand und sich grade wieder, nach der ausladenden, obligatorischen Verbeugung, aufrichtete, wobei der Hut abermals auf seinem Haupt seinen angestammten Platz einnahm. Fast unheimlich, dass er selbst kaum mehr bemerkte, was er tat. Alles schon perfekt einstudiert. Ob das auch bei erfreulicheren Dingen so ablief? Ach, sicher nicht. Nun … hoffentlich nicht! Eher beiläufig verfolgte er zu Beginn den Wortwechsel der beiden Frauen, ehe ihm dann doch auffiel, nicht zuletzt wegen dem scharfen und skeptischen Blick von Astiria, dass es um ihn ging. Moment, diesmal sollte er ran? Kurz huschten die hellen Augen zu Ilva, dann wieder zur Schwarzhaarigen. Aber natürlich! Selbstsicher grinste er und rückte den Hut etwas zurecht, in jener eitlen Geste, die er kaum mehr abzustellen vermochte, wie es schien. Tragt keine Sorge, gewiss nicht, nein, ich hab‘ gelernt, viel und noch viel mehr! Seht nur zu, wie der Schüler bringt der Lehrmeisterin viel Ehr. Hah, er hatte es gelernt! Einfach und … nun, es war nicht gestelzt gereimt, das mussten sie ihm zumindest lassen. Um seine Worte noch zu unterstreichen, warf er sich selbstsicher in die Brust und nickte abschließend, ehe er auch schon auf dem Absatz kehrt machte und regelrecht tänzelnd die Stufen hinauf, hinauf gen des eisigen Leviathan, den es zu bezwingen galt, empor stürmte. Die Kunde war ihm offenbar schon irgendwie vorausgeeilt, denn die Vielzahl der Blicke, die sich auf ihn richteten, als er ins freie trat und wieder seine Position am Bug einnahm, spürte er nur zu deutlich. Erneut schauderte der Barde kurz. Diesmal wohlig, trotz der beißenden Kälte, die noch tiefer zu beißen vermochte, als die bissige Hin, die er so weit zurück in Rivin gelassen hatte. Sollten sie ruhig ihren ungekrönten König bestaunen, so ward es recht! Locker verschränkte er die Finger ineinander, ließ sie einmal der Reihe nach knacken und streckte sich, bevor er tief Luft holte und gen Himmel blickte, der weiterhin emsig den Eisregen auf die gesamte Mannschaft niederprasseln ließ. Ein Augenpaar davon, welches ihn dabei beobachtete, war sicher Ilvas. Immerhin wollte sie darauf Acht geben, was so geschah. Ob sie ihm die Daumen drückte und gut zusprach innerlich? Eigentlich belanglos. Er war so vortrefflich, wozu brauchte er da Bestätigung? Er würde es schaffen, jawohl! Sollten sie nur seine Herrlichkeit schauen. Lange ließ er den geschöpften Atem noch einmal ausfahren und schaute der kleinen Dampfwolke nach, die nach oben schwebte. Nur an alles erinnern, was er gelernt hatte bei Ilva. Der Wind, dieser Bastard, - also ein mieser Bastard, gegen gemeine Bastarde hatte er ja nichts -, dieser kalte beißende Hund, dem musste er sich anpassen. Wenn Stimme und Melodie erst einmal im Einklang mit ihm waren, dann würde es schon funktionieren. Es musste. Es würde. Ein, zwei Herzschläge lang schloss er die Augen, war ausnahmsweise ganz still und starr, lauschte dem Pfeifen des Windes, der ihnen die garstigen Tropfen aus Wasser und Eis entgegen schleuderte. Er musste es spüren, seinen Takt seine innere Kohärenz. Als er die Augen wieder auftat, richtete er seinen Blick auf die grauen Wolkenmassen droben, wie sie umhertrieben, langsam, aber stetig. Da war es. Keine Zeit für Zweifel, keine Zeit für Zaudern, das musste es sein, der Herzschlag des Windes, wo er ihn zu packen hatte, der innere Gleichklang, der ihn bestimmte. Welch‘s Jahr es ward, mag ich nicht sagen, Da zerreißt ein Schrei die Nacht. In einem kleinen Fischerdorf, Ein Leben geht und eins erwacht. Mit einem kleinen Wirbel nimmt der Barde mehr Fahrt auf und kreiselt näher an die Reling am Bug dabei. Die Stube kalt, so kalt, das Feuer aus, Erblickt ein Kind die Welt, Doch schon in den Augen blitzt es hell, Hört nur zu, was ich erzähl. Und bei den letzten Worten macht er abrupt eine Drehung zum restlichen Schiffsdeck, zu seinem Publikum, doch der Blick bleibt gen der Wolken gerichtet, grade so, als sei dies doch sein wahres Publikum für den Moment. Königin der Meere, Herrin der See, Ihr Name in der Brandung tost. Wer ihn ruft, der ist verlor‘n, Und sein Schiff samt Ladung los. Mit einem festen Aufstampfen des Absatzes holt er noch einmal tief Luft und tönt dann laut und einbrünstig. Wir sind allein auf hoher See! Im Klang der Brandung treiben wir dahin. Wir sind allein auf hoher See! Mit vollen Segeln, Kurs der Freiheit entgegen. Komm schon Wind, komm schon! Vertreib die nässenden Wolkenberge! Bedroht von Armut, Hunger, Tod, Ein‘s Fischertochter sich erbarmt, So fährt sie dann erstmals zur See, Das Herz gestärkt, die Angst erlahmt. Bekräftigend klopft er sich dabei auf die Brust. Es reift der Plan, was sie nun tut, Reichtum andrer nehmen. Wer fortan ihren Namen spricht Bezahlt dies mit dem Leben! Und abermals holt er tief Luft, ehe er bei seinem Tänzeln über das Deck dem eisigen Wind abermals seine Verse entgegenwirft und doch nicht gar entgegen, eher sie einzuweben sucht. Königin der Meere, Herrin der See, Ihr Name in der Brandung tost. Wer ihn ruft, der ist verlor‘n, Und sein Schiff samt Ladung los. Wir sind allein auf hoher See! Im Klang der Brandung treiben wir dahin. Wir sind allein auf hoher See! Mit vollen Segeln, Kurs der Freiheit entgegen. Freiheit, ja, frei gen des Zieles segeln, frei von den Beschwernissen des Weges! Mit einer fahrigen Geste wischt sich der Barde den Schweiss von der Stirn, ob der ganzen Hampelei und inbrünstigen Gesangskunst, während er gespannt gen des Himmels blickt, dem peitschenden Eisregen entgegen blinzelnd.
_________________ Lasse dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. - Römer 12, 21 Tränke und Wundersame Gegenstände nach ZwergenartCharaktere:Sir Vylk Eyard Velington - Sneaky PaladinSergio Dellani - Bester Navigator der Inn'ren SeeLeysin - Hautkünstler
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