Es wurde Zeit. Zeit, das Wissen aufzuschreiben, welches ihr von den Alten vermittelt wurden. Wem sonst sollte sie es weitergeben, wenn nicht einem Buch? Wer sonst sollte es weitergeben, wenn nicht sie, die Schamanin? Das Lager war ruhig, alle schliefen, eine einzelne Kerze begrenzte mit ihrem Lichtschein nur gerade so eben das abgegriffene Buch, welches sie nun ergänzen wollte. Es war das Buch ihrer alten Lehrerin, und es waren noch Seiten frei.

Der Jahreskreis und seine Tage - sie unterstrich es doppelt und tauchte die Feder erneut in die Tinte. Und dann schrieb sie

Beltane - wir feiern es am 2. Vollmond nach Ostara.

Das Siegesfest der Sonne und des Sommers über den Winter, ein Fest des Lebens, der Fruchtbarkeit, der Vereinigung. Der Frühling geht in den Sommer über und wird auch „leuchtendes Feuer“ genannt.
Der Winter, der oft mit viel Angst vor Kälte, vor Krankheit, vor Hunger einhergeht, ist gebrochen. Man feiert an Beltane das Überleben, das Wunder des Lebens an sich.

Doch hat diese Nacht des Hochfestes auch eine andere Bewandnis. Die Tore zur Anderwelt sind in dieser Nacht geöffnet: Ein Element, um dieses Fest zu begehen, ist das Feuer, welches Seuchen fernhalten soll und allgemein der Reinigung gilt, und ebenso ein Baum, der vor dem Aufstellen festlich geschmückt wird. Dieser Baum steht für die Männlichkeit und den Phallus (der für die lebenserweckende Kraft des Himmels steht). Er wird aufgestellt, d.h. man rammt ihn in die fruchtbare, lebengebärende Erdmutter. Auf diese Weise versinnbildlicht das Volk die Hochzeit und die Fruchtbarkeit, ebenso gilt es als Verknüpfung der drei Welten (als da sind Himmel, Erde, Anderwelt). Alles zusammen wird fest in das Gefüge des Lebens eingewoben.

Zu den Zeremonien ist also das Feuer unverzichtbar, die sogenannten Beltanefeuer, kleiner Bruder der wärmenden Sonne.

Das Feuer reinigt und ist Neubeginn, drum lass die Leute alle Herdfeuer und Fackeln löschen, wenn sie zum Fest erscheinen.

Entfache das Beltanefeuer mit den neun verschiedenen Hölzern (wie zum Beispiel Eberesche, Erle, Weide, Fichte, Weissdorn, Eiche, Stechpalme, Haselnuss, Apfel, Buche, Schlehe)
Wenn die Feier zu Ende geht, gib den Leuten davon einen Kienspan mit der Flamme mit, auf das sie ihre eigenen Feuer daheim wieder entzünden können.
Bewahre die Asche der Beltanefeuer gut und verstreue sie später auf den Feldern, so mag es eine gute Ernte geben.
Treibe symbolisch ein Tier oder eine Herde zwischen zwei Feuern hindurch – so werden die Tiere von Krankheit verschont und ihre Fruchtbarkeit wird erhöht.
Lass schwangere Frauen durch die erkaltete Glut laufen, so mögen sie auf eine leichtere Geburt hoffen.
Lass Paare – Hand in Hand – über das niedergebrannte Feuer springen, sie bitten damit um Bestand ihrer Verbindung.
Reiche Speise und Trunk und opfere davon dem Feuer, auf das die Vorräte nie zur Neige gehen.
Lass Gesang und Fröhlichkeit gelten, Tanz und Neckerei, um das Leben zu ehren.



Der Hahn krähte und kündete den Morgen an. Railanta legte die Feder nieder. Vielleicht würde sie noch etwas ergänzen, vielleicht nicht. Für jetzt sollte es erst einmal genug sein.

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'Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung' ~ Eugène Ionesco