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 Betreff des Beitrags: Viele Monde
BeitragVerfasst: Mo 15. Feb 2021, 20:48 
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Schützende, verbergende Dunkelheit lag über dem Waldgebiet, welches Tarabur so lange nicht mehr durchstreift hatte.

Nach all den Jahren unsteten Suchens, Wanderns dieses wieder aufzusuchen oder gar hieraus hervorzutreten, um in der Ferne die vom Mond beschienene Silhoutte jener Stadt zu betrachten, aus derem steinernen Bauch dereinst ihn das Schicksal aufsuchte, weckte Erinnerungen, die vergessen zu sein schienen, vergessen werden wollten.

Die Stadt, deren Zugänge aus seiner Sicht verschwenderisch mit Fackeln beleuchtet schien, hatte ihn immer fasziniert, wenngleich er schon damals versuchte, um seinen Göttern, insbesondere der Dame der Wälder zu gefallen, allem Städtischen zu entsagen und jene, "die aus den Steinen" kamen, wie seine ihm nahestehende Gefährtin oder eher Vertraute mahnend zu sagen pflegte, auf Abstand zu halten und mit angemessenem Argwohn zu begegnen.

Er wäre nicht er selbst gewesen, wenn er jenen erstrebenswerten Grundsätzen immer treu geblieben wäre. Weshalb hätte es ihn berühren sollen, wenn die ein oder andere städtische Gestalt ihr unachtames Ende in den vielen hungrigen Rachen herumstreifender Wolfsrudel gefunden hätte? Die Wölfe wären gesättigt gewesen und der Wald hätte einen potenziellen Feind weniger gehabt. Nicht nur, dass der Wald den Städtern als wärmende Holzquelle für ihre verweichlichten Badewonnen im aufgeheizten Wasser dienen sollte... nein, er sollte auch das Baumaterial für die weitere Ausdehnung der Steine liefern, mit allem sich hieraus ergebenden Unbill an der zu huldigenden Mielikki, welche sich viel zu selten zu wehren schien.

Nur ungern wollte er, Tarabur, sich eingestehen, dass er vieleicht nicht so sehr an den Steinen hing, jedoch umso mehr an einigen wenigen, die sich dort des öfteren aufhielten und nicht jenen Grundsätzen so huldigten, wie es Tarabur selber gerne von sich hätte sagen können, dass er diesen Grundsätzen treu ist. Umso glücklicher machte es ihn, wenn er seinen Glauben verbreiten konnte und dieser in den Herzen derer anklopfte, die er lieb gewann, was gleichsam trotzdem keine große Freude bei seiner lange Zeit engsten Vertrauten auszulösen vermochte.

Er, Tarabur, war einfach nicht dafür bestimmt und auch nicht in der Lage, bis zur letzten Konsequenz Grundsätzen treu zu sein, sondern liebte die Freiheit und die sich hieraus ergebenden Begegnungen und drohenden Beziehungen.

Das Leben wäre sicherlich einfacher und gottgefälliger gewesen. Hier und da den ein oder anderen donnernd und polternd herumtrampelnden, Äxte schwingenden unachtsamen Bergwühler mit Pfeilen zu durchlöchern, ab und an den ein oder anderen Städter seinem unvorsichtigen Schicksal zu überlassen oder selbst ein wenig Schicksal zu spielen.

Stattdessen spielte das herausgeforderte Schicksal mit ihm. Dunkle Felsen flogen wie im Wind an ihm vorbei, die Blätter und Äste in den Bäumen sangen ihr Klagelied, während es aus den Wolken Asche regnete und er nur noch seine Schritte hinfortlenken konnte, den Adlern gleichtuend, die ihren verlorenen Hort verlassen müssen, ihre Schwingen ausbreiten und sich in der unbekannten Ferne neues Glück erhoffend, alles Liebgewonnene zurücklassen.

Nun also lag jene schicksalshafte Stadt wieder in greifbarer Nähe. Jene Stadt, welche ihn dereinst bewog, den Abstand zu ihr so groß wie möglich werden zu lassen, ohne belastende Worte des Abschieds in andere Ländereien sich durchzuschlagen, weitläufigere Wälder zu finden, um Unglück und schlechtes Gewissen hinter sich zu lassen, neues Glück zu finden und eines Tages zufrieden das Zeitliche zu segnen.

Ihm fiel ein altes Lied ein, welches er in den neuen Landen kennenlernen durfte "Pfade die ins Dunkel prallen. Zweige die gen Lichte blicken. Verweile nicht und kehre um.", dessen Sinn sich ihm nie ganz erschloss, ihn aber nicht mehr loszulassen schien. Während er es leise vor sich hinsummte lenkte er nun seine Schritte gen Rivin-Stadt, um alsbald durch das Stadttor hindurch gelassen zu werden.

Tarabur konnte kaum glauben, dass er tatsächlich zurückgekehrt war, wenngleich sich das Gefühl der Rückkehr noch nicht einstellen wollte. Vieles erschien ihm vollkommen unbekannt. Alles war so groß. Überall drangen Lichtfetzen aus den zahlreichen Fensteröffnungen und es war ein stetiges Gemurmel aus sämtlichen Richtungen zu hören, ohne dass er sich gewahr werden konnte, wer von wo mit wem über was auch immer zu sprechen scheint. Auf den Straßen und Plätzen war nur vereinzelt jemand zu sehen. Die Stimmen schienen aus den Mauer- und Fachwerken der unzähligen Bauten zu kommen, die ihn überforderten, sein Sinne verwirrten, ob ihrer Zahl und Größe. Die Straßen und Plätze boten keinen wirklichen Schutz und ihn überfiel ein Gefühl des Ausgeliefertsein, bis er endlich ein längst vergessenes Gebäude erblickte, in welchem er vor vielen Monden so manch leckeren und berauschenden Gerstensaft zu schätzen gelernt hatte.

Er fasste sich ein Herz und betrat sodann das Innere des noch immer die damalige Gemütlichkeit ausstrahlende Gaststätte. Beinahe spürte er so etwas wie wohltuende Erinnerung und ein Gefühl der Geborgenheit, welche sich damals immer einstellte, wenn einer der unzähligen Krüge sich geleert hatten und so manche holde Weiblichkeit ihn mit ihrer lieben Gesellschaft beglückte, als er bemerkte, wie sich nunmehr tatsächlich ein als nicht unansehnlich zu bezeichnendes damenhaftes Wesen sich ihm näherte. Zumindest soweit nicht unansehnlich, wie er jene Dame in ihren Details überhaupt erkennen konnte. Offensichtlich verliesen ihn sodann seine seither zuverlässigen Sinne und wichen einer Unsicherheit, die ihm die Worte stahlen und auch die Möglichkeit nahmen sich vorzustellen und außer einem unbedarften Gestammel überhaupt einen sinnvollen Satz zu bilden. War es das eilig bestellte und im Unverstand schnell heruntergespülte Gerstengetränk, welches seine Zunge lähmte und seinen vormals scharfen Blick die Sehkraft nahm? Er hörte noch einige weiblich klingende Worte, die aber für ihn keinen Sinn mehr ergaben, um dann am nächsten Tag am Rande der Theke unverrichter Dinge wieder aufzuwachen.

Offensichtlich schien sich in jener Gaststätte, bei der ihm auch wieder der Name Franky in Erinnerung kam, niemand sonderlich daran zu stören, dass er wohl Opfer eines über die Jahre ungewohnten Getränkekonsums geworden war, und so wurde er nach seinem Erwachen auch sogleich wieder freundlich begrüßt, ohne, dass er bereits wieder sämtliche Sinne erlangt hätte. Schnell prüfte er sein wenigen am Leib getragenen Habseeligkeiten und stellte zufrieden fest, dass diese noch sämtlichst bei ihm waren. Der Gedanke lag zwingend nahe, dass ihm etwas ins Getränk geschüttet wurde, um ihn so von den Beinen zu holen, wie er von den Beinen geholt wurde. Aber was hätte es für einen Sinn gemacht, nachdem ihm weder Leid noch Diebstahl oder gar Raub und Schlimmeres angetan wurde. Das einzige Leid, was er verspührte, war Jenes, dass er jener ihm hold erscheinenden Weiblichkeit vermutlich keinen guten Eindruck hinterlassen hat.

Leichtes Hämmern durchklopfte seinen Schädel, wo er sich erinnerte, dass jenes Hämmern sich in der weit zurückliegenden Vergangenheit zumeist dann zu einem gesellte, wenn der letzte Gerstensaft nicht der beste oder gar schlecht war. Und so ließ sich Tarabur nun abermals ein weiteres Gerstengetränk von der zuvorkommenden Bedienung reichen, um wie er auch wusste, jenes Hämmern durch ein Gegenhämmern, welches sich bei abermaligem Genuss hoffentlich einstellt, zu neutralisieren. Gefühlt war dieses neuerliche Gerstengebräu tatsächlich etwas besser als das letzte vorabendliche und so löste sich denn auch der ein oder andere Knoten aus seiner Zunge, als abermals eine Weiblichkeit die Gaststube mit ihrem Besuch beehrte. Ob es jene war, die des Abends zuvor bereits Taraburs Bekanntschaft für einen kurzen Moment machen durfte? Tarabur erinnerte sich an nichts mehr und so versuchte er all seine aufgewärmten gerstenbräugeschwängerten Sinne beisammenzuhalten und Worte zu wechseln, welche ob der langen und einsamen Wanderungen nicht mehr so flüssig über die Lippen gingen, wie es ihm damals durchaus zu eigen war, sofern er in entsprechender Stimmung sich befand.

Auch jetzt forderte das Getränk noch seinen Tribut und so war es nur der Geduld und der vermutlich guten Erziehung seiner ihm gegenüber stehenden Begegnung zu verdanken, dass er die ersten halbwegs vollständigen Sätze zu sprechen in der Lage war, von denen er erstaunt war, wie schwer diese inzwischen zu formen sind.
Ob aus Höflichkeit oder tatsächlicher Geschäftigkeit, erfuhr Tarabur, dass das Gespräch wegen dringend zu erledigender geschäftlicher Belange beendet werden müsse. Wider aller Erwartungen durfte Tarabur noch Worte wahrnehmen, welche ihm ein Wiedersehen in Aussicht stellten und das Angebot, ihn durch die Stadt zu führen. Seine Freude hierüber hielt sich in engen Grenzen, da er deutlich bemerkte, dass die vielen Monde des zumeist schweigend durch die Wälder pirschens ihn ein wenig ungelenk in sprachlichen Dingen gemacht zu haben schienen. Auch Namen, die ihm genannt wurden, so auch von jener Weiblichkeit, blieben ihm nur schwer im Gedächtnis, so dass er bei einer neuerlichen Begegnung sich möglicherweise die Blöse des nochmaligen Nachfragens geben müsste.

Noch war es nicht dunkelste Nacht geworden, so dass es für Tarabur an der Zeit war, das Gasthaus zu verlassen und sich auf die Suche nach dem zu machen, was vormals oftmals seine Lagerstätte im umliegenden Waldgebiet gewesen ist. Es kostete ihn Überwindung, den Weg dorthin zu gehen. Schwer fielen seine Schritte, bei dem Gedanken daran, dass jene Lagerstätte ein Opfer der zahlreichen Monde geworden sein könnte und so legte sich, im Fortgang seines Weges heller Mondenschein über seine stille Gedanken, denen er und auch seine Vertraute in längst vergangenen Zeiten nachhingen... am Ufer jenes waldumrandeten nächtlichen Weihers, fern der Steine... jenes Ufer, welches er nun aufzusuchen gedachte und mit Wehmut auch daran zurückerinnerte, wie an jenem Flecklein Waldesboden, die Seele oftmals neue Kräfte antrank und nicht nur die Moose und Farne und all die anderen Geschöpfe des Waldes, welche ihren Hunger nach Wasser dort in Frieden zu stillen pflegten.

Wirklich weit gekommen war Tarabur noch nicht, als er von Ferne Hufschläge herannahender berittener Pferden vernahm, die sich zu inzwischen nächtlicher Stunde ein wenig in den Wald hineinwagten. Der Mond sandte sein fahles Licht durch den an diesem Ort nur spärlich überwachsenen Waldweg und so erkannte Tarabur, dass auf dem Rücken eines durchaus nicht unimposanten Pferdes, zumindest fand es Tarabur imposant, eine Person zu sitzen schien, deren Klang ihrer ihn begrüßenden Stimme einen angenehmen Schauer der Behaglichkeit entlockte. Etwas unsicher stellte Tarabur sich vor und konnte seinen Augen und Ohren zunächst kaum Glauben schenken, wer ihm da, nach solch langen Zeiten, gegenüber stand beziehungsweise hoch zu Ross ihn mit ihrer Anwesenheit beglückte. Sein Glück kaum fassend hätte er Shana am liebsten umarmt, was er jedoch für ein wenig unangemessen und möglicherweise auch übereilt hielt, noch dazu, weil er befürchten musste, dass seine in die Tage gekommenen Kleider ein wenig zu sehr nach Natur riechen und unschön abfärben könnten.

Ob jene weiteren Gestalten schon die ganze Zeit am selben Platze waren oder erst hinzukamen, als Tarabur sich voller glücklicher Wiedersehensfreude über Tiefgreifendes aber auch freudiges Belangloses mit Shana austauschte, war für ihn nicht von größerer Bedeutung. Zwar spürte auch Tarabur, dass es möglicherweise ein wenig unhöflich von ihm war, sich nur auf Shana zu konzentrieren, wenngleich er auch ein Kompliment für das andere Pferd dann doch noch erwähnte... aber nach so langer Zeit bis zum Wiedersehen, hielt er jene Unhöflichkeit durchaus für verzeihlich, noch dazu, dass jene zusätzlich Herbeigekommenen ohnehin den Worten beinahe besser lauschen konnten, als es Tarabur in seiner Glückstrunkenheit gelang. Glücklicherweise krabbelte genau in jenem Moment des Wiedersehens ein seltener Waldbodenwegsteinkäfer vor Taraburs Füße, welchen er geschwind aufnahm und Shana als kleines Wiedersehensgeschenk freudig überreichte. Solche Käfer sind sehr selten und sofern man das Glück hatte, diese schon einmal in Händen gehalten haben zu dürfen, ein wahres Balsam bei leichteren Verbrennungen, wie auch Sonnenbränden. Man legt diese Käfer vorsichtig auf die betroffene wundartige Stelle, möglicherweise auch auf eine Schürfwunde des Handrückens, und genießt deren kühlendes Gekrabbel, welches unverzüglich einsetzt und sowohl dem Gekühlten Linderung verschafft, als auch dem Käfer ein Gefühl der Geborgenheit verleiht. Ein wenig Vorsicht sollte man jedoch hinsichtlich der Unterbringung dieser Käfer walten lassen. Allzu leicht kann es geschehen, dass solch ein Käfer über Nacht verendet, sollte er nicht ausreichend spezielle Kost zu essen bekommen... auch ein Grund, weshalb diese Käfer so selten anzutreffen sind, da nicht überall Blumenmeere das Auge und die großen Mägen der Käfer erfreuen. Um genauer zu sein: die Blüten von leuchtenden Blumen sind die einzige Kost, welche jene Käfer in der Lage sind zu verspeisen, um hieraus ihre kühlende Kraft zu erlangen und letztlich auch am Leben zu bleiben. Bei Blumenzüchtern sind diese Käfer in Folge dessen nicht ganz so gern gesehen... aber wer einmal solch einen Käfer auf dem Handrücken fühlen durfte, wird gerne auf den ein oder anderen Blumenstrauß bereit sein zu verzichten.

Shana schien die angenehme Kühle dieses Käfers zu genießen, während die ein oder andere kurze Geschichte von einem Mund zum anderen Ohr und umgekehrt ihren Weg fand... immer neugierig von Umstehenden belauscht und hin und wieder auch von Tarabur nicht unfreundlich kommentiert, wenn das Lauschen etwas zu aufdringlich zu werden schien.

Die Zeit verging wie im Fluge des herabtürzenden Drosselfalken, so dass es Zeit wurde, entweder einen gemeinsamen Schlafplatz in den schutzspendenden Kronen der im tiefer liegenden Gestrüpp befindlichen Baumriesen zu finden oder sich vorübergehend ein Lebewohl zu sagen, was auch wegen der für Baumkronen ein wenig ungeeignet erscheinden Pferde die Wahl des Moments sein musste.

Und so endete schließlich jener Abend, welcher im Vorfeld eine nicht unerhebliche Befürchtung an unschöne Erinnerungen in sich barg, mit einem freudigen Wiedersehen und einem Abschied, welcher hoffentlich nicht von solcher Dauer ist, dass wieder zahlreiche Monde bemüht werden müssten.

Noch blieb Tarabur ein wenig Zeit, nachdem er ein letztes Mal für diesen Abend Shana anblickte und ihr zum Abschied winkte, sich seine Höflichkeit nicht ganz vergessend auch von den anderen verabschiedete, um nach dem verborgenen Weiher Ausschau zu halten, was aber aufgrund der Dunkelheit der nun kräftig einsetzenden Nacht nicht mehr möglich war, so dass sich ein ruhiger und erholsamer Schlaf in einer gemütlichen Baumkrone, im Schutze der Dame der Wälder, für Tarabur einstellte und die vielen Monde in der Ferne vergessen ließ.

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 Betreff des Beitrags: Re: Viele Monde
BeitragVerfasst: Fr 19. Feb 2021, 21:46 
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Erste Sonnenstrahlen sendeten ihr Licht in die Baumkronen von Rivins Wäldern und somit auch in jenen Schlafplatz, welchen Tarabur in einem besonders ausladenden Baumwipfel gefunden hatte.

Tarabur's wenige Habseeligkeiten waren schnell in seinem kleinen Rucksack verstaut und auch sein Gewand, sein ein wenig in die Jahre gekommenes treues Schwert und sein dem sonstigen Gesamterscheinungsbild schon beinahe edel zu nennender Bogen, waren schnell angelegt beziehungsweise geschultert, so dass der Tag und mit ihm die Erkundung seines ehemaligem Refugiums, den hiesigen Wäldern, welche nun vollends von der Sonne in helles Licht getaucht waren, beginnen konnte.

Insgesamt wirkte der Wald heller, als zu jener Zeit, als er diesem vor vielen Monden den Rücken gekehrt hatte, was aber sicherlich an dem an diesem Tage besonders strahlend blauen Himmel lag, welcher ungehindert alles Licht hindurchzulassen schien. Aber vieleicht lag es auch daran, dass Tarabur jene dunkleren versteckten Pfade, die ins schützende Unterholz führten, nicht finden konnte, also jene Gegenden, bei denen sich die Sonnenstrahlen nur schwer einen Weg in Richtung des Waldbodens hätten bahnen können. Auch der damalig sacht verborgene Weiher, an welchem er bevorzugt mit seiner Gefährtin unendlich viele Nächte verbrachte, schien verschwunden zu sein oder hatte sein Gesicht derart gewandelt, dass sämtliche Spuren, Hinweise auf sein vormaliges Leben überwuchtert oder ausgelöscht waren. Kein damaliges ihm bedeutungsvolles Zeichen, auch nicht der damals gepflanzte Eichenkreis ließ sich finden.
Ein Gefühl des Fremdseins stieg in ihm auf und damit auch ein schmerzliches Gefühl des fehlenden Schutzes. Einen Schutz den diese Wälder, mit denen er damals eins war, ihm in ihrer jetzigen Fremdartigkeit nun nicht mehr bieten konnten... zumindest noch nicht.

Schmerzlich vermisste er auch seine damalige Bärin, die ihn viele Monde, auch bei seiner Abreise treu begleitete und an derem Fell er sich sooft wärmen konnte, wenngleich hierbei nicht nur wohltuende Bärenwärme, sondern auch allerlei krabbelndes und blutsaugendes kleines Juck- und Kratzgetier sich hierbei auf ihn übertrug. Wie gern hätte er all jenes damals abschätzig genannte Ungeziefer nun wieder gespürt, wenn er im Gegenzug seine Bärin bei sich haben könnte.

Er erinnerte sich zurück, wie er damals vor einer übermächtigen Trollhorde, am Gipfelrand eines steilen Felsabhangs, Reißaus nehmen musste, denen sich seine Bärin selbstopfernd in den Weg stellte, während er wohl sein Gleichgewicht verloren haben musste und nur noch wusste, wie er am Fuße eben jenes Abhangs, durch das raue Schlecken einer Wolfszunge, die ihm übers Gesicht wischte, irgendwann wieder ins Leben zurückgeholt wurde. Für jenen Wolf wäre er damals leichte Beute gewesen, noch dazu, da er, Tarabur, durch einen ungeschickten Aufprall, dessen verursachte Wunde noch immer gut an seiner Narbe oberhalb der rechten Schläfe erkennbar ist, sämtliche Sinne verloren haben musste.

Instinktiv griff Tarabur damals, im Moment des Erwachens nach seiner Klinge, um den über ihm kauernden Wolf ein schnelles Ende zu bereiten. Ein kurzes beeindruckendes Zähnefletschen gepaart mit dem imposanten Gewicht des Wolfes, welches auf Tarabur nun in Gänze lastete beendeten den Kampf, bevor er überhaupt hätte beginnen können. Offensichtlich, so schien es nun auch Tarabur zu begreifen, hatte jener mächtige, bereits stark angegraute Wolf kein besonderes Nahrungsinteresse und war auch sonst in seiner Bedrohlichkeit gegenüber Tarabur eher zurückhaltend. Im Gegenteil. Anstatt Tarabur den Garaus zu machen, hatte jener Wolf irgendetwas Erhaltenswertes an Tarabur gefunden und möglicherweise sogar längere Zeiten über den am Fuße des Felsabhangs bewusstlos liegenden Tarabur gewacht gehabt.

Schließlich erhob sich der angegraute Riese, der in seiner Länge gut und gerne sieben Fuß maß und in der Schulterhöhe nahe an drei Fuß heranreichte. Tarabur konnte endlich wieder frei durchatmen, als die geschätzten zweihundert Pfund Wolfsmasse nicht mehr auf ihm lasteten. Ohne weitere besondere Vorsicht walten zu lassen, umgriff Tarabur den Hals des massigen Tieres und drückte ihn dankend und graulend an sich, was ihm ein kurzes, tiefes Knurren entgegenbrachte, dann jedoch die Streicheleinheiten zu genießen schien, sodann sein Augen schloß und seinen mächtigen Kopf in Taraburs Schoß legte, um alsbald, mit langen und tiefen Atemzügen darin einzuschlafen, während Tarabur seine Blicke kreisen ließ, um zu erspähen und zu erlauschen, dass ganz in der Nähe ein schmaler, ruhig fließender Fluß zwischen der steil zerklüfteten Felswand auf der einen Seite und einem sanft ansteigenden, am Flußrand stark bemosten Hügel auf der anderen Seite sich entlangschlängelte. Der Hügel auf der anderen Flußseite stieg zwar nur flach an, war jedoch so weitläufig, dass ein Ende oder dessen Höhe sich den schätzenden Blicken Taraburs in dem sich ins Flußtal herniederdrückenden Wolkenmeer, aus dem es immer wieder sacht und beinahe sternengleich herauszufunkeln schien, entzog. Gerne hätte Tarabur die Quelle jenes Funkelns näher betrachtet oder hätte von erhöhter Stelle aus gerne das Flußtal weiter in Augenschein genommen, doch brachte er es nicht über sein Herz, den müden Riesen der eine behagliche Wärme ausstrahlte aus seinem, für einen einzelgängerischen Wolf, ungewöhnlich tiefen Schlafe zu erwecken.

Nun gesellten sich also in den Riviner Wäldern, während Tarabur sich zurückerinnerte, zu den vermissenden Gedanken an seine Bärengefährtin auch noch jene wehmütigen Gedanken an jenes Wolfsungetüm hinzu, welchem er den nur sehr bedingt einfallsreichen Namen Sternenwolf gegeben hatte und dessen gemeinsame und erlebnisreichen Wege sich dereinst auf tragische Weise wieder trennten.

Sich seiner neuartig gefühlten Hilfs- und Schutzlosigkeit in den ihn fremdgewordenen Wäldern Rivins bewusst werdend, umklammerte Tarabur mit festen Griff den Knauf seines treuen Schwertes, um sodann seine Suche nach Plätzen der Erinnerung und schutzbietenden Rückzugsmöglichkeiten fortzusetzen. Ohne sich an jene Orte erinnern zu können, fanden sich vereinzelt Plätze, an denen Rast und Feuer gemacht wurde und die auch weiterhin des öfteren aufgesucht wurden, wie frische Spuren und noch nicht vollkommen zerfallenes verkohltes Feuerholz erkennen lies. Es waren aber nicht jene Plätze, die ihm bekannt gewesen wären.

Einige Wege, welche damals den Wald durchtrennten und Tarabur seinerzeit schmerzlich störten, schienen verschwunden zu sein. Gut möglich, dass er sich nach so langer Zeit über deren genauen Einstiegspunkte und Verläufe nicht mehr sicher war und an falschen Orten suchte. Ja, so musste es sein. Offensichtlich hatte seine Erinnerung unter dem damaligen Wunsch des Vergessens sehr stark gelitten. Nicht dass Tarabur vorgehabt hätte sich in Richtung der damaligen Binge aufzumachen, um den von ihm wenig geachteten Steinwühlern einen Besuch abzustatten. Der Weg dorthin hätte ihn möglicherweise auch zu nah an die vormals und nun von ihm umso mehr gefürchteten Gebiete der Trolle gebracht, von denen er nicht wusste, ob diese dort immer noch ihr Unwesen treiben. Er konnte aber keine Spuren ausmachen, die ihm einen Weg hätten weisen oder Orientierung hätten geben können. Wiederum andere Wege waren in Teilen noch erkennbar, jedoch inzwischen so zugewuchert, dass deren Nutzung entweder ins Nirgendwo oder aber in Gebiete führten, welche nun offensichtlich lieber gemieden wurden. Auch der gut verborgenen Einstiegspunkt in die Klamm, welcher er häufiger durchwanderte, um seiner Göttin zu huldigen, war nicht mehr auffindbar, sämtliche Spuren verwischt, verwittert oder aber an einem anderen Orte befindlich, den er in seinen Erinnerungen aber nicht mehr finden konnte.

Tarabur dachte an das Wiedersehen und an das Treffen im Wald, welches ihn vor Kurzem so erfreut hatte. Auch daran, dass nicht nur Shana zugegen war, sondern Weitere, von ihm weniger Beachtete. Nie und nimmer wäre er vor Kurzem auf die Idee gekommen, irgendjemanden nach Orten, Plätzen, Wegen, Zeichen in den Wäldern, seinen Wäldern, zu befragen. Gut, Shana schon... aber andere, ihm Unbekannte? Gibt es nicht so etwas wie die Ehre eines einsamen Waldläufers? Die Ehre eines Waldläufers, welcher sich seither mit gefühlt verbundenen Augen durch sämtliche Wälder hindurchschlagen konnte, immer auf den Pfaden wandelnd, welche Mielliki ihm vorgab und auf die er sich mit schlafwandlerischer Sicherheit verlassen konnte.

Es gab durchaus auch andere Waldläufer, welche ähnlich bewandert waren wie es Tarabur aus seiner Sicht in besonderer Weise bis zu diesem Tage gewesen ist. Doch hätte man Taraburs Gedanken lesen können, so hatte er die meiste Achtung in den Künsten des Spurenlesens, des Wegefindens und vielem mehr hauptsächlich von sich selbst gehabt. Oder gar solche Waldläufer, die sich zusammentun, um gemeinsam die Wälder zu durchstreifen oder in einem umbauten Lager zu nächtigen. Damit konnte er sich nie identifizieren, sondern verlies sich am liebsten auf sich selbst. Dieser Tag hatte jenes vormalig erhabene Gefühl deutlich angekratzt und Tarabur wäre möglicherweise sogar bereit gewesen, sich irgendeiner Gruppe anzuschließen, in deren Gesellschaft er sich weniger hilflos gefühlt hätte. Diese beinahe peinlichen Gedanken mussten dringend wieder verdrängt werden, wenngleich auch bei größter Anstrengung dieses Verdrängen nicht gelingen wollte und er darauf hoffte vertraute Schritte oder Hufschlag herannahender Reiter zu vernehmen.

Stattdessen war es inzwischen still geworden im Wald. Bedrohlich still. Das ein oder andere etwas unachtsame Tier, welches Tarabur am heutigen Tage versehentlich recht nahe kam, gab Tarabur die Sicherheit, dass kein größeres Ungemach drohen könnte. Nun aber war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Selbst der sachte Wind, welcher Äste sich aneinander reiben lies, war erloschen. Das Einhorn, die Dame der Wälder musste verschwunden sein. Anders war diese absolute Stille nicht zu erklären, bei der sich das ungute Gefühl in Tarabur Raum griff, von dunklen Mächten oder Gestalten beobachtet zu werden, die nur auf einen geeigneten Moment warteten, an denen er zum Stillstand käme, sich möglicherweise ausruhen möchte, seine inzwischen sehr angespannte Wachsamkeit verminderte.

Zumindest jenes bedrohliche Gefühl, welches er auch schon seinerzeit des Öfteren erleben musste und welches ihn nie getäuscht hatte, schützte und mahnte ihn, sich Rivin-Stadt zu nähern, um in deren Nähe einen Platz zu finden, welcher weniger Bedrohlichkeit in sich bergen sollte.

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 Betreff des Beitrags: Re: Viele Monde
BeitragVerfasst: Di 23. Feb 2021, 00:01 
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Sehnsüchtigst erwartete Tarabur den erwachenden Tag, nachdem er zwar in Sichtweite der Stadtummauerungen einen sicher wirkenden Schlafplatz ausfindig machen konnte, allerdings sich immer wieder aufrichtete, um zu lauschen, ob irgendein Geräusch zu vernehmen wäre. Die Nacht war jedoch so ungewöhnlich still, dass sich an einen tiefen Schlaf beim besten Willen nicht denken lies.

Müde schleppte sich Tarabur, als die Sonne sich daran machte hinter dem Horizont emporzusteigen, aus seinem Schlafplatz in Richtung eines Baches, um sich ein wenig muntermachende Erfrischung zu gönnen. Nach der eisesfrische des morgendlichen Bades waren die Lebensgeister in ihrer ganzen Pracht zurückgekehrt und mit ihnen auch der vormals verlassene, der der Verängstigungen gewichene Unternehmungs- und Erkundungsmut.

Ja, der Wald hatte sich verändert... und ja, viele Stellen des Waldes wirkten bedrohlich. Aber es lag auch lange Zeiten zurück, dass Tarabur das letzte Mal diese Gegenden durchwanderte und die erwartete Vertrautheit und somit auch die vermeintliche Sorglosigkeit nicht hätte erwarten dürfen.

Er erinnerte sich an die Worte einer Gefährtin zurück, welcher er dereinst einen seiner, so meinte er, berühmten und allseits beliebten Klingentricks zeigen wollte, mit denen er als kleiner Junge so manch trübes Gelage in einen Hexenkessel des Erstaunens verwandeln konnte, um sie einerseits zu unterhalten und andererseits sie mit seinen außergewöhnlichen Kunstfertigkeiten zu beeindrucken. So manch holde Maid verlor beim damaligen Anblick des Dargebotenen zunächst ihre Gesichtsfarbe und dann ihren vormals sicheren Stand, was dann für zusätzliche Belustigungen sorgte aber auch für die ein oder andere rote Wange und elfengleichen Ohren, die sich Tarabürchen von den Müttern jener Maiden einfing bzw. gezogen bekam, wenn sie von seinen grauslig anzusehenden Klingenspielen erfuhren.

Wirklich sehen wollte sie, die Gefährtin, diese Klingentricks nicht, denn schon die Ankündigung dessen, was sie gleich zu sehen bekäme, klang reichlich gefährlich. Ihre Worte, welche in ungefähr lauteten: "Wenn die Gefahr größer als der Spaß ist, dann möchte ich lieber keinen Spaß haben.", wiegelte Tarabur damals mit einer laxen Bemerkung und von etwas großspurig begleitenden Lächeln ab: "Was Tarabürchen gelernt, verlernt Tarabur nimmermehr.". Es war das letzte Mal, dass Tarabur jenen Trick zum Besten gab. Er war nach all den Jahren nicht mehr Tarabürchen, sondern Tarabur. Tarabur war zwar an Kraft und Größe jenem damaligen Tarabürchen bei weitem überlegen, jedoch nicht an Flinkheit und Geschicklichkeit und vor allem nicht an tagtäg- und allnächtlicher Übung. Glücklicherweise war Taraburs damalige Gefährtin in den Dingen der Heil- und Flickkunst sehr bewandert, so dass nach der ein wenig aus dem Ruder gelaufenen Koordinationsdarbietung, die vier gleichzeitig durch die Lüfte herumwirbelnde Klingen ihr schneidend Werk recht blutig in Taraburs Handrücken und Oberschenkel beendeten, ihre chirurgischen Fertigkeiten ihn dann möglicherweise vor Schlimmerem Ungemach bewahrten.

So wie er jene Klingenfertigkeiten damals zugeben musste, nicht mehr in ihrer absoluten Formvollendung darbieten zu können, es lagen nun doch einige Monde zwischen Tarabürchen und Tarabur, so musste er sich selbst gegenüber nun zugeben und eingestehen, dass auch einige Monde zwischen den damaligen und heutigen Riviner Wäldern lagen. Und so wie Klingenkunst täglich geübt sein will, um nicht in bluttriefende Vergessenheit zu geraten, so muss auch die Kunst des Waldes, die Kunst des Verstehens, des Sehens, des Erkennens regelmäßig auf's Neue geübt werden... und zwar nicht nur Allgmein, sondern für jedes Waldgebiet sehr speziell.

Es sind oft nur kleine Unterschiede, die über Leben oder Verderben entscheiden. Bereits der Klang und die Bedeutung der aneinanderreibenden Zweige war in den weiter westlich liegenden Wäldern ein vollkommen anderer, als hier. An diese vermeintlich kleinen Unterschiede galt es sich wieder zu gewöhnen. Diese kleinen Unterschiede, diese damaligen schlafwandlerischen Fähig- und Sicherheiten, die er hier dereinst sein Eigen nennen durfte, die auf ewig, so seine damalige Meinung, in Fleisch und Blut übergegangen waren, musste er wieder verstehen lernen und sich erneut aneignen.

So machte er sich abermals auf die bereits gestrig gegangenen Pfade, jedoch nun mit einer anderen Erwartungshaltung und mit deutlich erhöhter Konzentration, um zu lernen, zu verstehen und zu bestehen. Nun wurden auch zarte Zeichen und Hinweise sichtbar. Keine damaligen Zeichen und Hinweise... aber Zeichen und Hinweise, an denen er sich orientieren konnte und deren neuerliche Veränderung ihm weitere Hinweise, neuere Hinweise zu geben in der Lage wären. Unschön blieb die ungewöhnliche Stille. Sie wirkte weiterhin bedrohlich und mahnte zu äußerster Vorsicht. Und sie mahnte auch dazu, nicht einfach nur einen Pfad zu erkunden, sondern die Umgegend der Pfade nach deren Eignung zum schnellen Rückzug und deren Schutzmöglichkeiten oder deren örtlichen Vorteilen gegenüber etwaigem Ungemach zu prüfen.

So manch verborgener und vormals ihm unbekannter Schrein und verlassener verwitterter Rastplatz konnte entdeckt werden und erzählte ihm Geschichten. Geschichten die jedoch, so deutete er deren Zustände und Einbettungen, er mit Unheilvollem in Verbindung brachte. Auch wenn der Wald ihm glücklicherweise wieder vertrauter wurde und Teile seiner verloren geglaubten Sicherheiten sich zurückmeldeten, so erkannte er, dass hier Gefahren lauerten, die er nicht einordnen konnte, nicht kannte, die sich von den damaligen unterschieden und vor denen er vor der Hut sein und nicht übermütig werden sollte und wo er sich in Rivin-Stadt möglicherweise Rat gedachte einzuholen, so sich eine Gelegenheit böte.

Der Tag näherte sich dem frühen Abend und Tarabur, nachdem er so manches erkunden konnte, zufrieden der Stadt. Das unschöne Gefühl von damals, sich inmitten von Steinen zu befinden, als er die Stadtmauern durchschritt und dem Franky's näherte, hatte er diesmal nicht. Einerseits war es ein guter Tag gewesen, welcher unschöne Gefühle kaum zuließ, andererseits hatte er immer noch ein wenig die Furcht im Nacken, welche er fühlte, wenn er an den vorherigen Tag zurückdachte, wo ihn ein Großteils seines Mutes verlassen hatte und er sich infolgedessen nun sogar erhoffte, hier etwas Entspannung, möglicherweise sogar eine nette Begegnung finden zu dürfen.

In dieser guten Stimmung schritt er geradewegs in Franky's Kneipenhaus, um sich einen leckeren Krug köstlichen Gebräus für seine etwas angetrocknete Kehle zu gönnen.

Den Gastraum noch nicht erreicht, fiel ihm auf dem Gang eine nicht unedel erscheinende Weiblichkeit ins Auge. Wobei "nicht unedel" in Taraburs Augen nahezu alles war, was nicht mit komplett zusammengeflickten Stoff- und Lederfetzen bekleidet war. So blickte er zunächst an sich hinunter, dann zu jener Weiblichkeit und konnte feststellen, dass "nicht unedel" mit "ziemlich edel" oder sogar "edel" oder "sehr edel" es wohl besser treffen würde. Tarabur machte sich noch nie sehr viel aus irgendwelchen Gewandungen. Ein Gewand hatte für ihn die Aufgabe, ihn vor Kälte, Hitze, Staub, Schmutz, Dornen, Bissen und sonstigen Unbequemlichkeiten zu schützen. Idealerweise war solch ein Gewand obendrein unauffällig und schmiegte sich gleichsam in das Farben- und Formenspiel des Waldes und nahm auch dessen Gerüche auf. Jene nun für ihn sichtbare Gewandung, bei der im Gang ein wenig verloren wirkend herumstehenden Gestalt, hatte offensichtlich als Zusatzaufgabe, für das Auge ein klitzekleinwenig etwas gern Gesehenes zu bieten. Staub, Schmutz oder gar Dornen hätten Tarabur leid getan, wäre jene Gewandung damit in Berührung zu kommen.

Ein wenig unsicher und vorsichtig näherte sich Tarabur, um nicht unhöflich und grußlos sich sofort im Gastraum einem erfrischendem leckeren Getränk hinzugeben.

Tarabur bemerkte, wie unangenehm ihm diese Annäherung war. Nicht, weil er Angst verspürte oder weil er etwas Unangenehmes zu berichten hätte. Es war dieses unangehme Gefühl, möglicherweise jemandem gegenüberzustehen, der einen von damals kannte, man sich selbst aber nicht mehr oder nur noch sehr schemenhaft oder falsch erinnerte. Tarabur konnte sich daran erinnern, dass er oftmals am Klang, an der Art des Schrittes bereits von Ferne hätte sagen können, wer sich ihm näherte. Was dies anbelangte, war er ein ziemlicher Spielverderber. Ihm von hinten nähernd die Augen zuzuheben und zu fragen, ob er erraten könne, wer es sei, war nur für Tarabur belustigend. Gefühlt konnte er jene Augenzuheber, meistens Augenzuheberinnen, bereits aus einer Entfernung, welche er in Tagesmärschen formulierte, mit Namen nennen; zumindest sorgte er mit solchen Sprüchen von Tagesmarschentfernungen für die ein oder anderen unzufriedenen, sich vormals vorfreuenden, Gesichter.

Er konnte also nun jene Weiblichkeit erkennen, jedoch nicht aus seiner Erinnerung eindeutig oder überhaupt zuordnen. In seiner Erinnerung hatte sie etwas Bekanntes. Aber irgendwie hatten vieler seiner Erinnerungen irgendetwas Bekanntes. Vieleicht hatte er mit jener Holden bereits an einem nächtlichen Feuer gespeist, vieleicht hatte er damals auch nur ihren Unmut auf sich gezogen oder schlimmere Dinge oder überhaupt nichts. In der Ferne sind Teile seines Gedächtnisses, seiner Erinnerungen verloren gegangen... so wie er es sich damals durchaus wünschte, nun aber nicht mehr rückgängig machen konnte, zumindest nicht vollständig rückgängig.

Nun stand er vor ihr und wusste nicht so recht, wie anfangen. Es wäre unhöflich gewesen, sich erst jedes Detail ihrer Erscheinung anzusehen. Wenngleich nichts zu erkennen war, was nicht ansehenswert gewesen wäre. Jedenfalls machte sie einen durchaus kennenlernenwürdigen Eindruck auf Tarabur, so dass er sie mit vorsichtigen und leicht demütigen Worten begrüßte.
Bevor er seinen Namen nennen konnte, blickte sie zu ihm und nannte den ihrigen.

Der Name war ein wahrer Horror für Tarabur. Er klang beeindruckend und auch schön. Aber kaum war das Ende des Namens erreicht, konnte sich Tarabur schon nicht mehr an den Anfang erinnern. Noch schlimmer war, dass ihm der Klang des Namens jedoch bekannt vorkam; ob in Gänze oder auch nur in Teilen.

Seine Erwiederung fiel demenstprechend ungelenkt aus: "Dies ist Euer Name?" und wurde nicht eleganter oder höflicher, in dem er ergänzte: "Mein Name ist ein wenig einfacher." und sodann "Tarabur" schmunzelt als den seinigen Namen nannte.

Die Schrecklichkeit des Unangenehmen, sich nicht richtig erinnern können, den Namen schon wieder vergessen zu haben, bevor dieser komplett ausgesprochen war, steigerte sich dann dadurch, dass er, Tarabur, ihr wohl nicht so unbekannt gewesen ist.

Diese holde Weiblichkeit murmelte Tarabur tatsächlich entgegen, während er krampfhaft versuchte, die gehörten Namensfragmente in seinem Gedächtnis wiederholbar zurechtzurücken: "Klingenherz? Was sagt mir das? Es gab mal einen Waldläufer...".

Der Boden tat sich gefühlt unter ihm auf. Ihm stand jemand gegenüber, die wusste oder ahnte, wer er ist und er konnte sie kaum zuordnen. Glücklicherweise gelang ihm dann schließlich doch noch ihren Namen in halbwegs verständlicher und korrekter Form zu wiederholen. Einerseits um Zeit für weitere Gedanken zu finden und andererseis, um der Höflichkeit, dem Anstand gerecht zu werden, und natürlich auch, um sich diesen Namen möglicherweise für die Zukunft im Gedächtnis zu halten.

"Amuhra Tuuah von Ka was?".

Damit hatte Tarabur den Namen in Ansätzen beinahe korrekt wiedergegeben, auch wenn "Amua Neftarie Tua von Kassar" richtiger gewesen wäre. Aber so ungefähr schien es zu passen, wie die erste Reaktion und die Antwort ihn diesbezüglich beruhigen durfte.

Tarabur schob dann noch einige Schmeicheleien hinterher, welcher den wundervollen Klang ihres Namens würdigte und auch die Gedanken, dass ihm dieser Name nicht ganz unbekannt vorkäme, erklärend hinterherschiebend, dass es Ewigkeiten her ist, hier gewesen zu sein.

Amua, wie Tarabur beschloss, sie künftig zu nennen, was seiner Erinnerungsleistung eher entgegenkäme, als den gesamten Namen sich merken zu müssen, erwähnte im sich entwickelten Gespräch, dass Shana ihre Freundin wäre, die ihr damals wohl die ein oder andere Sache über ihn erzählte. Tarabur spürte die Stiche in seinem Herz. Shana war für ihn ganz besonderes gewesen. Jemand, der er weh getan haben könnte und die er nie richtig vergessen konnte, wenngleich er dachte so etwas würde ihm gelingen können. Es spielte keine Rolle. Offensichtlich wusste Amua so einige Dinge über Tarabur, so dass er ihr vorsichtig gestehen konnte, dass er Shana nicht nur sehr gemocht hatte, sondern immer noch sehr mochte... Worte die ihm schwer fielen und die er noch hätte deutlicher formen können, hätte er es sich getraut diese deutlicher auszusprechen.

Aber als wenn dies nicht bereits mit Wissen Seitens Amua über Tarabur gereicht hätte, so erwähnte sie noch eine Drachengeschichte, bei welcher Tarabur nicht sicher sein konnte, ob er nicht in Ungnade fallen könnte... wobei auch hier lagen soviele Monde dazwischen, so dass Amua Tarabur alles hätte erzählen können... er hätte es ihr glauben müssen, weswegen er das Drachenthema möglichst schnell versuchte zu beenden.

Amua machte auf Tarabur, schon von Beginn des Gespräches an, einen sehr entwaffnenden Eindruck. Das war nicht unangenehm. Im Gegenteil. Sie hatte eine gewisse freche, bestimmende, offene, wenig misstrauisch wirkende Art, bei der sich Tarabur nie ganz sicher war, ob sie tatsächlich so ist oder nur etwas überspielt oder eine Kombination aus alledem. Wie auch immer, Tarabur fand sie nicht unsympathisch.

So wie es Tarabur heraushören konnte, hatte Amua nicht das einfachste und bequemste Leben und vermutlich auch eine nicht ganz sonnenverwöhnte Vergangenheit, wenngleich dies nicht ganz in Taraburs Weltbild der sogenannten höheren Gesellschaft, die Tarabur ihr schon aufgrund ihres Namens zuordnete, hineinpasste. Tatsächlich schien Amua sogar selber zu kochen und wirkte auch sonst nicht der Bequemlichkeit verfallen, was aufgrund der Kinder, von denen sie erzählte, sich auch nur schwer miteinander hätte vereinbaren lassen.

Gut passte allerdings in Tarabur's überschaubarem Weltbild bezüglich Adelsangelegenheiten und Städertum, dass, als er Amua zu einem leckeren Krug köstlichen Gebräus einladen wollte, sie eher Tee und möglicherweise auch Wein, in überschaubaren Mengen, zugeneigt war, sich nichts aus köstlichen Kruggebräu machte. Süß fand er Amuas Reaktion, als er ihr, um sich auf eine Art Teegespräch zu begeben, davon erzählte, dass er vor seiner Rückkehr in die Gefilde Rivins, zumeist nur abgestandenes Mooswasser trank. Sie war tatsächlich der Meinung, dass solches Wasser krank machen könne. Vieleicht, so dachte sich Tarabur, würde sich mal eine Gelegenheit ergeben, Amua solch ein Moosgetränk kosten zu lassen. Wer Tee trinkt, müsste von abgestandenem Mooswasser durchaus zu begeistern sein.

Die Zeit verging, und so mussten sich vorerst die Wege wieder trennen.
Dies war umso bedauerlicher, da Tarabur noch einige Fragen, auch zu Shana gehabt hätte. Natürlich auch zu Amua... Und zu ganz vielen Dingen mehr.

Während er Franky's Kneipe und somit Amua hinter sich ließ, beschäftigte ihn eine kurz zuvor stattgefundene flüchtige Begegnung, die sich in einer Riviner Hafenkaschemme zugetragen hatte. Das Kaschemmenschild konnte Tarabur nicht lesen, jedoch, so meinte er einen Einäugigen verstanden zu haben, hörte jene Örtlichkeit auf den Namen Belarians. Dortig herumlungernte Gestalten waren nicht nach Tarabur's Geschmack, so dass seine Hand immer in direkter Griffweite seines Dolches blieb. Umso schrecklicher fand er denn auch jene kurze Begegnung mit einer Maid Namens Lola. Ein ungewöhnlicher Name. Von der Namenslänge zwar nach Tarabur's Geschmack, aber noch viel ungewöhnlicher als dieser Name war, dass sich Lola sich ihm beinahe förmlich aufdrängte, noch bevor sich Tarabur überhaupt vorgestellt hatte. Kaum hatte er jene Maid und ihr Gebahren bemerkt, empfand er auch schon großes Mitleid. Dies war einfach kein geeigneter Ort für jene Weiblichkeit. Der dortige Umgang, der raue Ton und die gefühlte Missachtung, welcher Lola dort entgegengebracht wurde, durfte nicht sein. So entstammte denn auch der Versuch von Lola, Tarabur zu etwas zu überreden, für was er sie vermutlich nie hätte entlohnen können, doch eher einer Verzweiflung und dem entwürdigendem Streben nach Gold, denn einer wie auch immer gearteten Zuneigung. Tarabur erinnerte sich schmerzhaft an jene schicksalhafte Begegnung zurück, bei der er seinerzeit ebenfalls eine Weiblichkeit kennenlernte, welche gleichfalls sich in Umgebungen aufhielt, die er nicht gutheißen konnte und die er für den falschen Ort hielt. Sehr schnell verdrängte er diese Erinnerungen. Sie waren kaum zu ertragen, auch nicht nach jener sehr langen Zeit. Es war eine Zeit der vollkommenen Ohnmacht, des absoluten Hasses und schrecklichster Verzweiflung. Nun also Lola. Sollte er nochmals zu ihr zurückkehren und versuchen, sie aus dieser Gegend zu befreien. Jedes andere Leben, als das dortige wäre ein besseres, so seine feste Überzeugung. Tarabur wusste um seine Schwächen. So stark und abgebrüht er auch immer wirken wollte und es oft genug auch spielte, so nagten in ihm ständige Schuldgefühle, jedoch auch seltsame Zuneigungen zu Jenen, die sich auf der Schattenseite des Lebens bewegten. Tarabur konnte sich nahezu immer sicher sein, dass wenn er Zuneigung verspürte, dass es sich nicht um die einfachsten Charaktere handelte, sondern zumeist eine gewisse Dramatik jenen innewohnte. Wie einfach waren da doch sein Bärin und in der Folge auch Sternenwolf.

Er wischte die Gedanken beiseite, um nochmals einen kurzen vorabendlichen Abstecher in den Wald zu machen, um nachzusehen, ob seine Verumtung, aufgrund derer er eine bestimmte Spurenfolge nun vorfinden müsste, wahr sein könnte. In der Nähe jenes Busches, in welchem er sich eine Weile am Waldesrand aufhielt hatte er den Boden so vorbereitet, dass neue Spuren eindeutig auszumachen und zuzuordnen wären. Und ja, sein Herz hüpfte vor Freude, als er erkennen konnte, dass sich dort der Abdruck einer ihm durchaus bekannten Spur wiederfand, von der er kaum erwarten konnte, dass jene Spur und die seinige sich in Bälde kreuzen und vertrauen würden. Tarabur wollte nun sein Nachtlager vorbereiten, hatte aber einerseits jene Vorfreude aufgrund der Spuren und zusätzlich eine Unruhe, aufgrund des Zurückgekehrt- aber noch nicht Angekommenseins, so dass an Schlaf nicht zu denken war.

Vieleicht konnte er Shana treffen. Vieleicht auch Anua. Hoffentlich hatte er Anua ausgerichtet, dass sie Shana grüßen solle und hoffentlich hat es Anua nicht vergessen. Dies waren Gedanken, welche er in jener Art schon lange nicht mehr hatte. Auch hätte er nun gern seine damalige Vertraute und einige der Druiden wiedergesehen. Von diesen waren aber nicht die geringsten Spuren auszumachen, so dass eine Traurigkeit emporstieg, welche ihn seine Nacht in Richtung der Stadt und dort nochmals ins Franky's verlegen ließ.

Kaum dass er die Gaststube betrat, hielt er bereits einen Krug lecker schäumenden Gebräus in Händen, welches ihm zuvorkommend und mit einem wohlwollenden Lächeln überreicht wurde, ohne dass er hätte extra eine Bestellung aufgeben müssen. Tarabur wusste, dass er es mit jenem Gebräu nicht übertreiben durfte, weswegen er, nachdem er diesen einen Krug geleert hatte, sich überwandt, den folgenden Krug dankend abzulehnen und auf ein nächstes Mal zu verweisen.

Da weder Shana noch Amua anwesend waren und auch sonst eher nur belanglosere Gestalten, zumindest aus Sicht Taraburs, verließ er die Gaststube, um jedoch zunächst, seine Neugier befriedigend, noch einen kurzen Abstecher in das weiter oben liegende Geschoss zu machen; nachsehen, was sich hier möglicherweise alles verändert haben könnte.

Den Gang entlangschlendernd vernahm er das Stimmengewirr einer emsig schnatternden Schar. Ein "Schnattern" welches in seinen Ohren durchaus angenehme Klangfarben enthielt, die er daher von Näherem auf sich wirken lassen wollte. Kaum war er um die Biegung des imposant langen Ganges gelangt, konnten sich sein Auge sodann am Anblick dreier Weiblichkeiten erfreuen, welche für Tarabur's Verhältnisse teilweise durchaus imposant gewandet und auch körperlich nicht unbedingt alle unauffällig waren.

Eine jener Weiblichkeiten, so konnte er im sich entwickelnden Gespräch erfahren, hörte auf den Namen Sila, welche nennenswert gerüstet, mit am Gürtel hängenden Waffen und Helm, sowie einen im Schulterbereich mit schwarzen Federn geschmückten Umhang und imposanten Rüstungsschulterklappen ein wenig aufgeplustert wirkte, ohne jedoch hierdurch für ein ehrfürchtiges Erstarren Seitens Tarabur zu sorgen.

Eine andere der Weiblichkeiten, kombinierte Tarabur in der Gesprächsfolge, nannte sich Anara und hatte einen als ziemlich imposant zu bezeichnenden Körperbau; groß, so groß, dass Tarabur sich in ihrer Nähe klein vorkam, athletisch und insgesamt etwas ungewöhnlich hinsichtlich Taraburs seitheriger Bekanntschaften. Tarabur wollte nicht zu aufdringlich wirken und vermied es daher, zu sehr die verschiedenen andersartigen Details in auffälligen Augenschein zu nehmen.

Die Dritte im Bunde stellte sich als Dreani vor und erfreute Tarabur durch ihre offene, freundlich lächelnde Art, welche Tarabur von zahlreichen anderen elfischen Vertretern, denen er sie zuordnen konnte, seither nicht so sehr genießen durfte. Oftmals reagierten Elfen, sofern diese sich überhaupt mit Tarabur abgaben, ein wenig distanziert auf seine zynischen, sarkastischen, lakonischen oder auch einfach nur flapsigen Bemerkungen. Natürlich, wie sooft, gab es Ausnahmen. Ganz sicher schien, so Taraburs spontane Meinung, Deani eine dieser sehr angenehmen Ausnahme zu sein, wenngleich sich Tarabur momentan noch ein wenig zurückhielt. Einerseits kannte er Dreani noch nicht gut genug... oder auch nicht mehr... er war sich da momentan nie so sicher, wen er hätte kennen und nicht kennen müssen... und andererseits waren ja noch die beiden Anderen zugegen, von denen Tarabur ebenfalls nicht wusste, wie jene möglicherweise reagieren könnten.

Tarabur hatte noch nicht richtig mit seiner Annäherungs- und Vorstellungszeremonie: "Ich hoffe ich störe nicht..." begonnen, als Anara ihm bereits ins Wort fiel. Dies war nicht als unhöflich zu empfinden, zumindest machte es auf Tarabur nicht diesen Eindruck, sondern verkürzte das sonst übliche Geplänkel auf angenehme Art, wenngleich es Tarabur ein wenig verlegen machte und er nur noch "Ich musste mir ein wenig die Beine vertreten." herausbekam, was ihm reichlich idiotisch vorkam, da es offensichtlich war, dass er, Tarabur, sicherlich nicht den ersten Stock eines Gebäudes benötigte, um dort Bewegung der spazierenden Art erfahren zu dürfen.

Tarabur hatte sich noch nicht richtig vorgestellt, schon fragte Anara, ob er der Typ aus dem Wald gewesen sei, welcher mit Shana gesprochen hätte, was ihn weiter verunsicherte, so dass er nur noch nickend zu bestätigen in der Lage war. Im Gegensatz zu Tarabur wirkte Anara sehr sicher und auch sichtlich zufrieden, ob ihres offensichtlichen Wissens über die Geschehnisse in der Umgegend und diesbezüglich auch über Tarabur.

Glücklicherweise gab es Dreani, die mit ihrer überaus freundlichen und sehr angenehmen Art Taraburs Verunsicherung abzumildern in der Lage war. Tarabur war es nicht gewohnt, dass man ihn überall zu kennen schien, während er gefühlt niemanden kannte oder sich nicht mehr erinnerte. Auch plagte ihn nun erneut sein Gewissen, so dass er am liebsten Reißaus genommen hätte, bevor möglicherweise vergessene Details erwähnt hätten werden können, über die er lieber für immer den Mantel des Schweigens ausgebreitet haben wollte.

Insgesamt schien die hier angetroffene Gruppe eine lebensfrohe Art zu haben, wie sich aus verschiedenen aufgschnappten Gesprächsfetzen für Tarabur entnehmen lies. Hierzu gegensätzlich und beängstigend waren Anaras Warnungen, welche Sie Tarabur mit auf seinen Weg gab. Scheinbar würden in den Wäldern zwischen den Städten seltsame Erscheinungsformen, Dämonen und andere Wesen aus fremden Welten, von sehr klein bis riesengroß, ihr Unwesen treiben, durch deren einem zugefügten Verletzungen man krank würde und alsbald als Leiche endend neue Wesen aus dem dann toten Körper sich herausplatzend auf ihren Weg machen. Auch die anderen Waldgegenden seien gefahrvoll, jedoch in ihrer Gefährlichkeit nichts im Vergleich zu jenen erwähnten Waldgebieten.

So einen ungewöhnlichen Eindruck Anara auf Tarabur auch machte und ihn auch mit ihren Warnungen in Beunruhigung versetzen konnte, so hatte sie eine freundliche und hilfsbereite Art, welche sogar so weit ging, dass sie Tarabur anbot, dass er bei ihr übernachten könne, während sie seine Kleidung, die nur noch mehr schlecht als recht zusammenhielt, auf Vordermann bringen würde. Tarabur konnte sich kaum daran erinnern, wann er das letzte Mal in einer festen Behausung, von Höhlen oder Erdlöchern abgesehen, genächtigt hätte. Möglicherweise würde er ihr Angebot zu einem anderen Zeitpunkt gerne annehmen. Im Moment jedoch hatte er noch einige Dinge vor, für die er unbedingt zurück in den Wald musste, wollte er nicht die gefundenen Spuren, besser noch das Überschneiden gemeinsamer Spuren nicht verpassen.

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In hundert Jahren, inzwischen auch deutlich weniger als in hundert Jahren, interessiert dies niemanden mehr.


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 Betreff des Beitrags: Re: Viele Monde
BeitragVerfasst: Do 25. Feb 2021, 20:43 
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Es war eiseskalt, während fahler Mondschein durch das Dach der Wälder Rivins nur spärlich bis zu Taraburs Lagerstätte fand, welche er notdürftig in einer kleinen Erdsenke errichtet und mit allerlei Geäst abgedeckt hatte, so dass die kaum vorhandene Wärme nicht gänzlich entweichen konnte, insbesondere die kalten Winde ihn nicht umtosten, als er ein leises Schnüffeln vernehmen konnte, auf welches er schon eine ganze Weile gewartet hatte, nachdem ihm aufgefallen war, dass sich seine Spuren mit anderen Spuren eines noch kleinen Wolfes immer wieder kreuzten. Anfangs konnte Tarabur erkennen, dass diese Spurkreuzungen zumeist zeitlich weit auseinander lagen, während im Laufe der Zeit sich diese Abstände immer weiter verkürzten. Zu diesen Jahreszeiten kam es immer wieder vor, dass schwächere Tiere, so auch junge oder sehr alte Wölfe, von ihren Rudeln zurückgelassen wurden, wenn sie nur als hungriges Maul der Sippe zur Last fielen, jedoch nichts zum spärlichen Jagderfolg beitragen konnten.

Sämtliche Spuren deuteten auf solch eine zurückgelassene, vom Rudel ausgestoßene arme Tierseele hin. Eine Tierseele, die versuchen musste, irgendwie zu überleben, was zu dieser Jahreszeit und als junges, vermutlich stark geschwächtes Einzeltier kaum gelingen konnte, außer es würde ein ihm unterlegenes Opfer oder aber Aufnahme in ein anderes Rudel finden. Für ein solches Tier konnte Tarabur kaum als Opfer geeignet sein. Tarabur war zwar über den Zenit seiner Kräfte schon seit geraumen Zeiten hinweggeilt, jedoch immer noch in dem Maße rüstig, dass es für einen jungen, ausgestoßenen Wolf klar sein musste, dass ein wie auch immer gearteter Verzweiflungsangriff nicht gut für das Tier enden würde. Entweder war also jenes vermutlich schon sehr geschwächte Wolfstier vor dem direkten Hungertod stehend und demenstprechend zu solch sinnvoll abwägenden Gedanken nicht mehr in der Lage, oder, und dies schien Tarabur wahrscheinlicher, war es die verzweifelte Hoffnung, den ein oder anderen Speiserest an jenen Orten finden zu können, an denen Tarabur hätte welche übriglassen können, was Tarabur dann, obwohl er selbst nicht im Überfluss zu essen hatte, absichtlich in größerem Umfang für seinen Verfolger gerne unter Geäst auslegte. Allerdings hielt sich Tarabur mit der zur für den Wolf bestimmten Nahrungsmenge dennoch zurück, so dass einerseits der Hunger des Wolfes weiter zunehmen musste und andererseits hierdurch auch der Leichtsinn des Wolfes sich ihm immer näher an Tarabur herankommen lies. So entstand im Laufe der Zeit bereits ein gewisse Nähe und auch Neugier aufeinander. Beim Wolf vieleicht auch ein Gedanke, dass er in Tarabur möglicherweise sogar jemanden finden könne, der ihm nichts Böses will und wo er möglicherweise sich auch sicherer fühlen könne. Solch ein geschwächter Wolf konnte leicht selbst zum Opfer werden und benötigte zusätzlichen Schutz.

Nun also endlich war jenes Schnüffeln direkt an Taraburs Unterschlupf zu vernehmen. Wirklich viel an Nahrhaftem hatte Tarabur nicht am Rande seiner Erdbedachung ausgelegt, jedoch eine Essensspur, welche bis zu ihm in sein Lager hinein führte. Plötzlich war das Schnüffeln verstummt, anstatt, dass es näher gekommen wäre. Sehr vorsichtig kroch Tarabur der gelegten Spur entlang und sah schließlich die Umrisse jenes Tieres, welches soeben die letzten Lebensgeister verloren hatte. Nur noch ganz schwach und selten atmend wäre es in Kürze verstorben und es grenzte an ein Wunder, dass jenes restlos ausgemerkelte Geschöpf es überhaupt noch bis hierher geschafft hatte. Sehr vorsichtig näherte sich Tarabur weiter an. Auch ein dem Tode nahes Geschöpf konnte durchaus noch im Moment eines letzten Aufflackerns des Odems reichlich Unheil anrichten... oftmals mehr Unheil als ein gesundes Tier, weil, so hatte es Tarabur vielfach erleben müssen, jenem letzten Odem eine ganz besondere Kraft innewohnt, der sich mit letzter verzweifelter Anstrengung dem Todesreich somit entziehen, diesem ein Schnäppchen schlagen möchte.

Doch hier war auch jener letzte Odem bereits nahezu erloschen und Tarabur befürchtete schon, während er die Feuchtigkeit in seinen Augen emporsteigen fühlte, dass die Dame der Wälder jenes junge Leben nun wohl endgültig zu sich holen wird. Für den Moment dachte Tara ein kurzes weißes Leuchten zwischen den im Dunkeln liegenden Baumriesen erkennen zu können. War es jene Dame, die vorbeihuschte, um zu sich aufzunehmen, was Kinder ihres Waldes waren oder war es ein Zeichen, welches Tarabur gewahr werden sollte, dass er bitte keine weitere Zeit solle verstreichen lassen, sondern jenes Häuflein Elend versuchen sollte ins kaum noch vorhandenen Leben zurückzuführen. Tarabur beugte sich über den jungen, beinahe toten Wolf, umwickelte ihn mit seinem Mantel und trug ihn mit Leichtigkeit in seinen Unterschlupf. Viel Gewicht hatte dieses arme Geschöpf wirklich nicht mehr, strahlte auch keine Wärme mehr aus. Tarabur entledigte sich all seiner Kleider, schmiegte sich eng an den Wolf und breitete ein paar der Decken über sich und den Wolf aus, in der Hoffnung, ihm von seiner Wärme geben zu können. Nur vorsichtig drückte er jenes Tier, welches allzu zerberechlich wirkte, an sich heran und war sich beinahe sicher, dass es zu spät für eine Rettung war, während er jenes Lied leise vor sich hinsummte, welches ihm dereinst seine Gefährtin vorsang, als er, Tarabur, an der Schwelle zum Jenseitigen stand. "Vefalle nicht dem Waldeskampf, werde Teil von ihm und eins mit der Harmonie der Dame der Wälder.". So oder so ähnlich war jener damalige Text, welcher er seinerzeit nur noch schwach vernehmen konnte, ihm jedoch jene Kraft spendete und jenes Leuchten in ihn zurückkehren ließ, welcher nun hoffte, dass es jenem Geschöpf, mit der Hilfe Mielikkis gleichsam ergehen würde. Es gab noch weitere Strophen. Diese waren ihm jedoch noch mehr entfallen und so summte Tarabur gefühlt die ganze Nacht, bis er hierüber eingeschlafen sein musste, das Häufchen sterbendes oder bereits gestorbenes Elend, weiterhin sachtsanft umärmelnd und wärmend.

Möglicherweise war es dem Einschlafen Taraburs verschuldet, dass jenes Liedelein sein Ende finden und hierdurch eine gewisse Art von letzter Verärgerung ob jenes Verstummens bei dem Elendwölfchen auszulösen in der Lage war. Denn kaum dass das Gesumme verstummte, war ein leichtes Knurren zu vernehmen und auch das Stupsen einer Wolfsnase unter Taraburs Achsel, in welcher sich jenes Tierlein nun doch von alleine ein wenig eingeschmiegt hatte und in welches das Leben in Form der Forderung einer Zugabe zurückzukehren schien.

Auch manch anderes schien zurückzukehren, wie Tarabur durch das ein oder andere zwickende Gefühl erspüren durfte. Nicht nur in das Wölflein kehrten die Lebensgeister, sondern auch in jene kleinen Gesellen, die sich blutsaugend zwischen allerlei Haar- oder Fellpracht daran machen, überall für reichlich juckende Befleckung zu sorgen. Durchaus störend wurde dies von Tarabur empfunden, jedoch nahm er jene ungebetenen Zusatzgäste gerne mit bei sich auf, wenn nur das Wölflein, welches nun schon beinahe gleichmäßig und tief zu atmen schien über die Runden dieser Nacht hinwegkäme.

Je mehr es Tarabur juckte, kratzte zwickte, umso besser schien es seinem neuen Besuch zu gehen, welcher inzwischen tief und fest in Taraburs Armen schlief und durch das hin und wieder erkenn- und spürbare Strampeln seiner Pfoten erkennen ließ, dass so manch Träumereien durchfuhren. Tarabur's Onkel, ein damals bereits hochbetagter aber niemals die Steine betreten habender Mann, hatte dereinst Tarabur erzählt, dass ein Wolf, der in den Armen eines Menschen träumt, der größte Seegen ist, der einem in fellgewordener Form zuteil werden kann und dessen Treue niemals mehr vergehen wird.

Tarabur empfand zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ein Gefühl, welches er als allergrößtes Glück in den Wäldern so kaum noch kannte, sich kaum noch daran erinnerte. Er, Tarabur war zwar durchaus gerne auf sich allein gestellt und nur für sich allein verantwortlich, zog die Einsamkeit den großen Gesellschaften vor. Doch entsprang dieses gerne auf sich allein gestellt sein oder die freiwillige Einsamkeit eher den gemachten Erfahrungen vieler ungewollter und nicht verhinderbar gewesener Abschiede, wecher dereinst auch zum Verlassen jener hiesigen Wälder bei ihm führte, um Vergessen zu können.

So sehr sich Tarabur also über sein neu gewonnen Ungeziefertransporteur freute, so sehr fühlte er jetzt schon die ahnende Traurigkeit, die ihn dereinst erhaschen wird, wenn eine sich nie dauerhaft abwendbare schicksalhafte Trennung ergeben wird.

Tarabur schnaufte bei diesem Gedanken tief durch, was ihm sein Wölflein sodann mit zufrieden klingendem Lefzenflattern gleichtat.

Der Tag brach an und Tarabur spürte den nassen Lappen im Gesicht, welcher sich als Wolfszunge erkennen ließ und ihn offensichtlich einen guten Morgen wünschen wollte. Die Lebensgeister schienen nahezu vollständig zurückgekehrt sein, so dass Tarabur sich traute, ein wenig des Knochenmark der extra zurückgelegten Knochen zunächst herauszukratzen und seinem neuem Begleiter anzubieten, welcher beinahe ein wenig übermütig und zu gierig jenes Festmahl in sich hineinschlang. Gerne hätte Tarabur noch ein wenig mehr verfüttert, jedoch wollte er mit zunächst kleineren Mengen beginnen, um nicht gleich alles verfüttert zu haben und auch, um den nun an strengsten Hunger gewöhnten Wolfsmagen nicht zu überlasten, was ihm ein ziemlich unzufriedenes Knurren entgegenbrachte. Tarabur richtete sich kurz auf, blickte mit ernster Miene in Richtung der knurrenden Quelle und, es schien, als ob jener Wolf durchaus ein feines Gespür für gewisse Situationen hatte, ausreichend Überzeugungskraft auszustrahlen, um das Knurren schlagartig zu beenden.

Noch war jenes neu gewonnene Wöflein ziemlich wackelig auf den Pfoten und die ersten Schritte, die Tarabur des Morgens in seiner Umgegend machte, musste er so einige Male eine kurze Rast einlegen, um Sternenwolf, wie er ihn, ziemlich einfallslos nach jenem Wolf benannte, mit dem er vor zahlreichen zurückliegenden Monden, fremde Wälder durchstreifte. Sein damaliger Sternenwolf hatte, außer dass es auch ein Wolf gewesen ist, nahezu keine Gemeinsamkeiten mit dem aktuellen Sternenwolf. Sternenwolf senior war ein einzig muskelbepacktes, riesengroßes Wolfsungeheuer, während Sternenwolf junior, den er fortan der Einfachheit halber trotzdem nur Sternenwolf nennen und rufen würde, reichte ihm, sofern er sich auf vier Pfoten bewegte, gerade mal bis knapp unter den oberen Teil seiner Oberschenkel. Vom Gewicht musste Tarabur befürchten, dass Sternenwolf einem Sturm kaum standhalten hätte können und auch sonst gab es so Einges, was Sternenwolf aufholen musste, um so zu werden, wie man sich einen richtigen Wolf vorstellt. Aber... da war sich Tarabur sicher, diese Wandelung vom klepprigen Winzling zum ausgewachsenen Wolf würde im Laufe der Zeit gelingen.

Auch wenn Tarabur sich nun hätte am liebsten die ganze Zeit auschließlich um seinen neu gewonnenen Freund gekümmert hätte, so mussten doch Dinge im Wald erledigt werden, welche dafür sorgten, dass auch weitere Tag folgen würden. Im Gegensatz zu jener Phase, in denen sich beider Spuren zunächst nur sporadisch kreuzten, war Sternenwolf dahingehend ein Wolf, dass er, wollte er nicht entdeckt werden, tatsächlich nicht entdeckt wurde. Jetzt, in Taraburs Nähe, schien jene Wolfstugend ein wenig abhanden gekommen zu sein, und während Tarabur möglichst unauffällig den Wald durchstreifen wollte, sprang Sternenwolf wie ein junger verspielter Hund in der Gegend herum und veranstaltete einen Lärm, welcher nur noch durch Hundegebell oder in diesem Fall Wolfsgeheule hätte überboten werden können.

Es war also nur eine Frage der Zeit, bis in dieser sich dann auch auf Tarabur ausbreitende Unbekümmertheit, fehlende Zurückhaltung und fehlende Vorsicht ein lehrreiches Mahnmal ergab, als Sternenwolf und Tarabur in ihrer nun vollkommenen Unachtsamkeit zu nah an ein nicht rechtzeitig bemerktes Wolfsrudel gelangten. Sternenwolf wäre ein leichtes Opfer gewesen und jaulte bereits kräftig auf, als auch Tarabur ein ziemlich imposantes Wolfsexemplar die Wade mit den Abdrücken eines beeindruckenden Gebisses verzierte. Glücklicherweise wurde Tarabur nicht am Arm oder der Hand erwischt und konnte gerade noch seine Klingen ziehen und deren Werk verrichten lassen, was die restliche Rudelmeute davon überzeugte, von Sternenwolf und ihm abzulassen, während jener Gebissabdrucksverewiger sein bedauerliches Ende finden musste. Tarabur konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Wolf ins Reich seiner Ahnen überzusiedeln. Ob ihm dies die Dame der Wälder jemals verzeihen würde? Sternenwolf kam in geduckter Haltung herangekrochen, wohl wissend, dass die vormals heitere Stimmung eine Menge an ihr innewohnender Heiterkeit verloren hatte. Tarabur hätte natürlich schimpfen können. Jedoch war Tarabur selbst unachtsam gewesen und weshalb sollte er schimpfen, wenn Sternenwolf zu ihm kommt. Sternenwolf hätte möglicherweise daraus gelernt, dass wenn er sich Tarabur nähert, er hierfür getadelt wird. Tarabur drückte Sternenwolf an sich, legte den erlegten Wolf über seine Schulter und machte sich, leicht humpelnd zurück zu seinem Lager, während Sternenwolf regelrecht mit seiner Wade verwachsen schien, so wenig traute er sich nun von Tarabur, welcher offensichtlich Schlimmeres hatte verhindern können, zu entfernen.

Interessiert betrachtete Sternenwolf die nun folgenden Zeremonien, welche Tarabur im Gedenken des unglücklich aus dem Leben geschiedenen Wolfes begann. Ein notdürftig aus umliegenden Hölzern zusammengebauter Schrein, einige wohl überlegte Worte, zahlreiche entschuldigende Verbeugungen vor dem toten Wolf und dem mit viel gutem Willen erkennbaren Schrein begannen Sternenwolf irgendwann zu langweilen, so dass Tarabur kurz seine Beherrschung zu verlieren drohte und Sternenwolf begriff, dass der momentane Zeitpunkt für etwaig Langeweile vertreibende Spielereien wohl nicht in diesem Augenblick hatte sein sollen und noch warten musste.

Sternenwolfs Zeitgefühl war weiterhin nicht mit jenem von Tarabur im Einklang, bis es Tarabur endlich aufgab, weiterhin Sprüche in Richtung des vermeintlichen Schreins, der langsam in sich zusammensackte, abzusondern und endlich Zeit für Sternenwolf fand, nachdem der andere Wolf dem Erdreich übergeben war, um im nächsten Leben als prächtige Eiche dem Wald dienen zu dürfen.

Auch wenn Sternenwolf sehr verspielt und dementsprechend nicht immer ausreichend vorsichtig zu sein schien, erkannte Tarabur, dass Sternenwolf sehr gut beobachten, deuten und verstehen konnte. Und so machte sich Tarabur, ob jener Geschichte, welche ihn in Stadtdingen in Grübeleien brachten, zu Rivins Steinbehausungen auf. Sternenwolf blieb selten weiter als eine Fußlänge von Taraburs inzwischen etwas mit geronnenem Blut verschmutztem Beinkleid entfernt, bis schließlich die Stadtmauern in Sicht kamen. Tarabur gab Sternenwolf zu verstehen, dass er bald zurückkäme, jedoch Sternenwolf nicht mitdürfte. Schwer zu sagen, ob Sternenwolf wirklich verstand oder was er verstand. Aber offensichtlich schienen die Gedanken Taraburs in die Gedanken Sternenwolfs hineinzureichen und so blieb Sternenwolf mit sehnsuchtsvollen Augen zurück... hoffend, Tarabur käme bald zurück. Tarabur bereitete Sternenwolf noch einen schönen und geschützten Platz, nahe am Waldausgang und entschwand schließlich in den Steinen, um zu sehen, ob er sich weiterhin Gedanken um jenes bedauerliche Geschöpf machen müsse, welches er in einer nicht für alle Seelen geeigneten Hafenkneipe bemerkt hatte. Möglicherweise, so sein Gedanke, könne er sie ja für die Gedankenwelt Mielikkis begeistern und ihr Dasein ins Gute wandeln. Dieser Gedanke seiner Missionierungsgefühle erschien ihm umso dringender geboten, wenn er an jenen Wolf dachte, welcher seiner und Sternenwolfs unbekümmerten Unachtsamkeit zum Opfer fallen musste. Es galt das Gleichgewicht wieder herzustellen, bei dem die eine gegangene Seele Platz für die andere Seele macht. Dieser anderen Seele galt es, einen Besuch abzustatten, auch wenn die Erfolgsaussichten noch so gering erschienen.

Tarabur hatte sich dem Hafenbereich zu einem guten Teil genähert, als er plötzlich jener Weiblichkeit bis beinahe vor den Brustkorb lief, welcher er vormals im Frankys kennenlernen durfte, und die ihm gar freundlichst, so Taraburs Empfinden, das Flicken seiner Kleider angeboten hatte.

In der Erinnerung war Anara bei der vormaligen Begegnung bereits recht beeindruckend an Ausmaßen und an bemerkenswerter Gestalt. Doch nun, hier an jenem, dem Hafen nahen Bereich erschien sie ihm geradezu gewaltig und auch ein wenig einschüchternd. Gut, Tarabur hatte im Frankys bereits ein leckers Schaumgetränk hinter sich, bevor er auf Anara traf. Möglich, dass dies seine Sinne ein wenig benebelt hatte. Auch war ihm, in Gesellschaft der damalig anderen Weiblichkeiten nicht so bewusst geworden, dass die Wortwahl Anaras und ihres möglichen Ansinnens jene Wucht hatten, wie diese nun auf ihn herniederprasselte. Sie war nicht unfreundlich... nein, das war sie wirklich nicht. Im Gegenteil. Sie erwähnte sogar erneut das Angebot des Kleiderflickens. Aber jene anderen Worte waren dann schon ein wenig befremdlich für Tarabur, welcher eher der sachteren und vorsichtigeren Wortwahl, so wie er es von seiner Dame der Wälder und sie sicherlich auch von ihm erwarten konnte. Trotzdem, obwohl Tarabur sich schwer tat, nicht laufend zu erröten oder komplett die Sprache, ob jener Direktheit und der ein oder anderen Anzüglichkeit zu verlieren, so fiel es ihm auch schwer, nicht das ein oder andere Mal sich ein Lachen nicht unterdrücken zu können.

Der Abend entwickelte sich, wie sich Abende in den Steinen entwickeln müssen. Sehr ungewöhnlich. Eine leicht abwesend erscheinende Gestalt, welcher mit jener Vertieft- und Weltenentrücktheit in einem Buch sich geradezu eingegraben hatte, gesellte sich versehentlich hinzu, woraufhin sich ein Gespräch entwickelte, welches Tarabur ein wenig Entlastung bot, indem er versuchte Anara ein wenig auf jenen Buchling zu lenken. Gra seltsame Dinge musste Tarabur vernehmen, ohne, dass er noch wüsste, wer dies alles jeweils und wie genau gesagt hatte. Vermutlich war es Anara, da der Buchling, welcher sich als Seraph auszugeben schien, in Teilen derart der Welt entrückt wirkte, dass ihm Tarabur gar nicht zugetraut hätte, dass er jenes Alter erreicht haben konnte, welches er offensichtlich trotzdem erreicht hatte. Gefühlt wäre dieser Buchling in jeden offenen Brunnen gefallen, den man ihm in seinem Lektürenwahn in den Weg gestellt hätte und dort lesend ertrunken, möglicherweise ohne es zu bemerken. Seine Zusatzverglasung im Vorfeld seiner Augen verstärkten diesen Buchlingsweltentrücktseinseindruck nochmals deutlich und paarte sich mit einer in gewisser Art und Weise sehr vornehmen Art, die Tarabur wiederum sehr schätzen konnte, wenngleich ihm einiger seiner Aussagen hinsichtlich der Hafengegend und der dortigen Örtlichkeiten ein wenig verunsicherten. Aber Tarabur war in Gedanken einerseits bei Sternenwolf, wie es ihm wohl im Moment ergehen mochte, und andererseits in jener Hafenkneipe dessen Besuch seine Mission sein sollte, die wiederum von Anaras teilweise erschreckenden Geschichten über fliegende Städte, Dämonen und allerlei weiterem Ungemach, gepaart mit ihrer nicht sehr zurückhaltenden und auch etwas einschüchternden Art, ob ihrer auf Tarabur wirkenden Gewaltigkeit, reichlich verwirrten. Und dann überall diese in unendliche Höhen aufgetürmten Steine, welche teilweise von bemitleidenswerten Holzumrandungen gehalten werden mussten und aus deren Innerem eine Geräuschkulisse sich entlud, die Tarabur einiges abverlangte.

Tarabur wollte natürlich nicht unhöflich erscheinen, sprach jedoch den Grund seines Erscheinens in der Hafengegend an, weswegen er weiter wolle. Er nannte nicht seine Mission. Aber er nannte Lola, deren Name hier niemand zu kennen schien, was möglicherweise auch daran lag, dass sie hier nicht die Beachtung empfang, welche sie hätte verdienen sollen... geachtet und geehrt.

Anara schienen Taraburs Gedanken weitestgehend fremd zu sein. Im Gegenteil. Für sie war, nachdem die Hafenkneipe mit Namen Belerians endlich erreicht und betreten ward, Anara und Seraph schienen Tarabur sehr gern hierher zu begleiten, es offensichtlich etwas absolut Normales, dass jene Lola, die dort zu arbeiten hatte, äußerst schäbig mit unschönen Worten erniedrigt und ausgenutzt wurde. Solch ein Gebahren kannte Tarabur kaum und begann innerlich zu brodeln. Glücklicherweise erschien Sila. Sie verbreitete mit ihrer, auf Tarabur sehr beeindruckend wirkenden Kleidung, einem sehr schönen und edlem priesterlichen Gewand, all Jenes, an was es diesem Ort zu fehlen schien... Würde, Anstand, Freundlichkeit, Achtung, Höflichkeit und vieles mehr. Am liebsten hätte sich, damit er nicht sein Fassung verlöre, Tarabur nun gerne nur noch ausschließlich Sila gewidmet, bot ihr, Anara und dem Buchling, mit Namen Seraph daher an, sie auf ein köstliches Gebräu einzuladen, was, wovon Tarabur ausging ein wenig gute Manieren auf den Rest der hiesigen Seemanns- und Tagelöhner- und sonstiger ungehobelter Strolchgesellschaft abfärben könnte.

Vor allem ein Tagelöhnergeselle fiel Tarabur besonders unangenehm auf und die Zeiten, dass sich eine Situation entwickeln könne, wo es Klingen zu schwingen galt, schienen nicht mehr sonderlich fern. Lola schien dieses ekelhafte Kneipengebahren und die Abfälligkeit, mit der sie dort behandelt wurde und auch die vielen Erniedrigungen, die sie sich anhören musste, nicht in dem Maße zu stören, wie es sie hätte stören müssen, so dass Tarabur beschloss, mit gutem Beispiel voranzugehen und Lola und den anderen die Augen zu öffnen, wie ein Umgang miteinander aussehen könnte.

Wenn Tarabur ganz ehrlich gewesen wäre, so hätte man vermutlich erkennen können, dass seine Befürchtungen inzwischen Ausmaße angenommen hatten, bei denen er sich in Waldesgegend wesentlich sicherer gefühlt hätte. Tarabur war nicht mehr der Jüngste. Desweiteren wirkten einige der hiesigen Gestalten nicht unbedingt so, als wenn sie geborene Opfer wären. Ungewöhnlicherweise musste sich Tarabur eingestehen, dass er nicht unglücklich darüber war, dass Anara in der Nähe war, welche offensichtlich das ein oder andere Mütchen ein wenig Zurückhaltung üben ließ und Tarabur sein ein wenig groß wirkendes Mundwerk dann in die Lage versetzte noch ein wenig weiter anzuwachsen, indem er dieser verachtenswerten Männerschar eine großspurige Lehrstunde angedeihen ließ, wie man sich zu benehmen hat, hierfür die entsprechende Aufmerksamkeit einforderte, was eine Stimmung erzeugte, bei der möglicherweise nicht mehr viel gefehlt hätte, dass die Kneipenausstattung in Kleinholz und Tarabur noch viel schlimmer geendet hätte.

Die Dame der Wälder muss Taraburs edlen Absichten sehr geachtet und für seinen Schutz gesorgt haben. Der Einäugige, der nun ebenfalls in den Genuss einer anständig aufgegebenen Bestellung kam und Lola, die nun endlich mal erfahren durfte, wie es ist, geachtet zu werden, dessen war sich Tarabur sicher, würden ihre künftigen Schlüsse daraus ziehen.

Das leckere Bier ward gezapft, das Innenausstattung vernichtende Aufbrausen all der üblen Gesellen blieb aus, sicherlich wegen der Dame der Wälder... vieleicht auch wegen Anara... und es kehrte beinahe so etwas wie ein bisschen Würde in jene unwürdigen Räumlichkeiten ein, als die Krüge erhoben wurden und das leckere Gebräu seinen Weg in die trockenen Kehlen fand. Mit Ausnahme Anara's Kehle, welche offensichtlich den gar köstlichen Geschmack nicht so sehr zu schätzen wusste, sich jedoch ungewöhnlicherweise, so erschien es Tarabur, einen Ruck und ihr bestes hinsichtlich eines würdigen Abends gab.

Dass die Bezahlung, wie es in solchen Hafenspelunken vermutlich üblich ist, mit den üblichen Gaunereiversuchen seitens des Wirtes ein wenig ins Stocken geriet, muss kaum erwähnt werden. Selbst Tarabur, welcher nun wahrlich nicht die Rechenkünste als die größten Fähigkeiten seines Könnens herausstellen würde, erkannte jenes frevelhafte Gebahren des Einäugigen, bei dem man sich in der Folge musste, weshalb er nicht der KeinÄugige war. Aber auch hier schien Tarabur ein wenig von der Stimmung und dem Harmoniegesang der sich im Winde wiegenden Baumriesen des Waldes an jenen Ort gebracht zu haben, so dass der Wirt seinen Frevel alsbald erkannte und geläutert den gerechteren Lohn entgegennehmen durfte. Und auch Lola wurde ausreichend bedacht.

Es war nun Zeit Abschied zu nehmen. Für Lola begann nun, so Taraburs Gedanken, sicherlich eine Zeit des InSichGehens, und möglicherweise der Gedanke an Freiheit und ein besseres, ein würdiges Leben. Der getötete Wolf schien gesühnt, zumindest in Teilen... der Wille zählt, dachte sich Tarabur und so verließ er nachdem er sich von allen verabschiedete, insbesondere auch ein wenig wehmütig von Sila verabschiedete, deren wundervollen Gewänder, welche Sila zu einer ganz besonderen Sehenswürdigkeit machten, jenen nun ein wenig geläuterten Ort, nicht vergessend, den Segen der Dame der Wälder zu hinterlassen, sich vorfreuend auf Sternenwolf in die Wälder begebend und auch nochmals an Anara denkend, welche er möglicherweise ebenfalls Teile seiner Unversehrtheit verdankte und jenem Buchling, den es so vermutlich nur in den Steinen geben konnte... doch tatsächlich sah er Sina und Lola vor seinem inneren Auge, bis er endlich Sternenwolf, der ihn beinahe umrannte, als er sich aus den Silhoutten der städtischen Ummauerung schälte, erkannte.

*Danke, dass Tarabur das Belerians schadlos überstehen durfte :-) *

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 Betreff des Beitrags: Re: Viele Monde
BeitragVerfasst: Mi 3. Mär 2021, 03:59 
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Die Tage vergingen und mit ihnen - leider nur vorübergehend - auch der ein oder andere trübe Gedanke an Gefährtinnen oder Vertraute, die offensichtlich in den hiesigen Wäldern, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr zugegen waren.

Es war nicht so, dass Taraburs Sehnsüchte geringer wurden, sondern vielmehr war es Sternenwolf, der Tarabur oftmals so auf Trab hielt, dass sich Tarabur seine Zeit für Sehnsüchte regelrecht einteilen musste.

Mit was für Dingen Sternenwolf Tarabur alles auf Trab zu halten befähigt war, würde den Rahmen des Herniederschreibbaren übersteigen. Einerseits waren es absolute Belanglosigkeiten, wie das ständige sich von Flöhen und sonstigem Krabbelgetier befreien, welches Sternenwolf geradezu magisch anzuziehen und in der Folge an Tarabur weiterzugeben vermochte und andererseits waren es Jagdausflüge, bei denen Sternenwolf oftmals ein wenig übereifrig zu sein schien, was dann entweder dazu führte, dass Sternenwolf das zu jagende Wild durch seine jugendlich verspielte Unruhe auf- und somit hinfortscheuchte oder aber sämtliche, in diesen eiseskalten Monaten mit besonderem Appetit gesegneten, ausgehungerten Raubtiere auf sich und Tarabur aufmerksam machte, so dass es in der Folge mehrfach zu einer Umkehr von Jäger und Gejagter kam, bei welcher Tarabur seine Kletterkünste manche Male unter Beweis stellen musste, um sich in Baumkronen zu retten und Sternenwolf seine Sprinterqualitäten im hastigen Davonrennen ausgiebig trainieren konnte.

Nichtsdestotrotz mauserten sich Tarabur und Sternenwolf zu einem durchaus passablen Gespann, bei dem, in jener noch frühen Phase des sich aneinander Gewöhnens, zwar noch nicht alles zu Taraburs vollster Zufriedenheit sich eingeschliffen hatte, wo aber erkennbar war, dass Sternenwolf, im Rahmen seiner Möglichkeiten, sich redlich bemühte und es hierbei auch immer häufiger gelang, dass Sternenwolf sich nahezu unsichtbar machen und lautlos sein konnte, wenn er erkannte, dass Tarabur dies für angebracht hielt. Teilweise war Sternenwolf so lautlos und so unsichtbar bzw. verborgen, dass es Tarabur mehrfach verunsicherte, ob Sternenwolf nicht möglicherweise abhanden gekommen ist.

Tarabur und Sternenwolf waren zu abendlicher Stunde am Waldesrand unterwegs, als Tarabur bemerkte, dass sich eine jung wirkende weibliche Gestalt, aus Richtung der Stadt kommend, in den Wald begeben wollte. Die Sonne spendete noch ausreichend Licht, so dass Tarabur erkennen konnte, dass es sich um Anestasia handeln musste, was ihm ein vorfreudiges Lächeln ins Gesicht zauberte. Sternenwolf hatte sich bereits artig ins Unterholz getrollt und ward unsicht- und unhörbar geworden.

"Zu abendlicher Stunde auf dem Weg in Richtung Wald?" fragte Tarabur neugierig, nachdem er Anestasia freudig begrüsst hatte. Anestasia schien über diese Frage etwas erstaunt. Offensichtlich war es für sie nicht unüblich, allein und um diese Zeit sich in den Wald zu begeben. Im Gegenteil. Tarabur durfte feststellen, dass Anestasia den Wald, zumindest seine darin verlaufenden Pfade, besser zu kennen schien, als dies Tarabur hätte von sich behaupten können. Sie erzählte Tarabur etwas von einer "Zuflucht", zu welcher sie sich aufgemacht hätte.

"Zuflucht?", fragte Tarabur. Einen Platz oder einen Ort mit diesem Namen kannte Tarabur nicht, und erfuhr nun, dass es sich hierbei um eine Art Elfentaverne handeln würde, was für noch mehr Verwunderung bei Tarabur sorgte, da er hiervon nie gehört hatte, dass es hier in der Nähe so etwas je gegeben hätte. Auch einige andere Orte, die Anestasia nannte, waren Tarabur aus frühreren Zeiten unbekannt. Vieles was er von früher kannte gab es nicht mehr, jedoch einiges gab es, was es früher nicht gab, weswegen er dankbar war, dass er sich an Anestasias Fersen heften durfte, um von ihr jenen geheimnisvoll klingenden Ort "Zuflucht" kennenlernen zu dürfen.

Der Pfad führte durch Gegenden, die Tarabur nie durchwandert hatte und sie beide schließlich zu einem Ort führte, wo es für Tarabur schwierig geworden wäre, wäre von ihm verlangt worden, all das hier Gesehene in eigenen Worten dereinst beschreiben zu müssen; allzu vielerlei wunderliche Dinge, die es zu bestaunen gab. Tarabur war kein Freund von Bauwerken und konnte an ihnen nur sehr bedingt Gefallen finden. Hier aber, an diesem Ort, musste selbst Tarabur gestehen, dass ihm das dort Errichtete gefiel. Dies lag nicht ausschließlich an einer übergroßen Statue seiner Göttin, welche er hier entdecken durfte, sondern vielmehr daran, dass die damaligen Baukünstler so zu bauen verstanden, dass sich alles wundervoll in die Natur einzuschmiegen verstand, teilweise beinahe wie gewachsen aussah.

Tarabur war noch nicht aus dem Staunen herausgekommen, als er erkannte, dass Anara ebenfalls an diesem Orte anwesend war, was ihm nur bedingt gefiel. Tarabur hatte sich auf ein ruhiges Elfengetränk in der hiesigen, ihm noch unbekannten Taverne gefreut. Nun aber war es, zumindest mit der Ruhe, vorerst zu Ende. Anara war, wie immer, nicht unfreundlich. Allerdings war es Tarabur nicht - oder nicht mehr - gewohnt, mit Worten in solcher Menge überflutet zu werden. Wie konnte Anara so viel und so schnell all die Worte aus sich heraussprudeln lassen, ohne hierbei in kürzester Zeit solch trockene Zunge zu bekommen, welche Tarabur den sicheren Dursttod beschert hätte... davon abgesehen, wäre Tarabur die nächsten Tage heiser gewesen. Anara schien diesbezüglich über eine andere Konstitution zu verfügen, was Tarabur schmunzeln lies, als ihm der Gedanke an seinen Onkel kam, welcher ihm damals von Tarabur's Tante erzählte, von der er meinte, dass man bei ihr das Mundwerk extra totschlagen müsse und hierbei vermutlich nie Erfolg haben würde.

Allerdings, so musste sich Tarabur gestehen, lauschte er dennoch ganz gerne Anaras Sprachflut, da es ihn unterhielt und, da auch die ein oder andere Geschichte dabei war, von der zu erfahren ihm nicht unwichtig erschien.

Tarabur nutzte eine kurze Atempause Anaras mit dem Hinweis auf den gerne zu tätigenden Tavernenbesuch, so dass die drei, Anestasia, Anara und Tarabur schließlich die Elfentaverne betraten.

Sowohl die Gestaltung des Taverneninneren, als auch die dargebotenen Getränke, liesen Tarabur aus dem Staunen und dem Entzücken kaum noch herauskommen. Neidlos musste er anerkennen, dass Elfen in vielerlei Dingen besser begabt waren, als es Menschen jemals würden sein können. Leider verging die Zeit wie im Fluge, so dass Tarabur, welcher an Sternenwolf dachte, sich viel zu früh wieder verabschieden musste, nachdem er sich zum Abschluss noch den Mund an einem überheißen Tee verbrannt hatte, welchen er zum vermeintlichen Gefallen Anestasias sich gredenzen ließ.

Beim Rückweg, es war inzwischen Nacht geworden, jedoch aufgrund des Mondes alles gut erleuchtet, nahm Tarabur einen Umweg durch ein Waldgebiet, welches auf ihn eine wohlige Ruhe und Geborgenheit ausstrahlte. Sicherlich würde es dort im hellen Mondenschein ein ganz besonderes Schattenspiel zu bestaunen geben und möglicherweise, in dieser zwar eiseskalten aber dennoch wunderschönen, gar magisch wirkenden Nacht, auch ein Zeichen der Dame der Wälder sich ihm offenbaren.

Alles wirkte friedlich und vertraut, alles erstrahlte wunderschön im Mondenschein, so dass Tarabur sich in seinen Gedanken verlor. Er dachte zurück an verschiedene Gefährtinnen und Vertraute. Er wünschte sich, diese besonders schöne Nacht nicht alleine genießen zu müssen, und das beruhigend im leichten Wind raschelnde Blätterspiel unter uralten Baumriesen, aneinandergelehnt teilen zu dürfen.

Da plötzlich wurde Tarabur jäh aus seinen verträumten Gedanken gerissen. Wie hatte es passieren können? Wie konnte er so unachtsam sein? Wie konnte er jenes riesenhafte Geschöpf nicht bemerkt haben?

Tarabur war sich sicher, dass all seine Gedanken nun für immer schmerzhaft enden würden. Weder hatte er seinen Bogen im Anschlag, noch sein Schwert fest im Griff, noch eine ausreichend große Klinge in der Hand. Er war vollkommen überrascht und vermutlich in Kürze nicht mehr in dieser Welt zugegen. Allerdings, dies schien ihn zu trösten, weder mit seinem Bogen, noch mit seinem Schwert oder gar seinen Klingen, hätte er das nun sicher scheinende Unheil abwenden können. Gegen einen solch großen Bären, welcher nun nur noch zehn Schritte von ihm entfernt gegenüber stand, hatte er nicht den Hauch einer Überlebensmöglichkeit. Der Kampf wäre beendet gewesen, eher er begonnen hätte.

Tarabur war wie erstarrt. Weder eine Flucht erschien ihm aussichtsreich, ein Kampf schon gar nicht, als auch alles andere, was ihm im Moment aber nicht einfiel. Tarabur sprach in sich ein letztes Wort zur Dame der Wälder und wartete auf den Prankenhieb, welcher ihn vom Dieseits ins Jenseits und hoffentlich in die Arme Mielikkis befördern würde.

Möglicherweise schien der Bär genauso überrascht wie Tarabur gewesen zu sein, zumindest dachte sich Tarabur dies, da auch der Bär keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu tun. Beruhigend war dies nicht für Tarabur. Allerdings blieben ihm hierdurch wohl noch ein paar zusätzlich unerwartete Augenblicke, sich von jener Welt verabschieden zu dürfen. Interessanterweise erinnerte sich Tarabur an eine ihm von seinem Onkel erzählte Geschichte, in welcher es zu einer vergleichbaren Begegnung zwischen einer holden Maid und einem Bären kam. In jener damaligen Geschichte empfing der Bär allerlei Gaben und verwandelte sich schließlich in einen vormals zum Bär verhexten Waldläufer. Maid und Waldläufer, welcher durch eine der Gaben zurückverwandelt wurde, lebten fortan glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Tarabur hatte sich damals fürchterlich gegruselt gehabt, als sein Onkel ihm dies erzählte und sich entsprechend über das gute Ende gefreut. Im Moment gruselte er sich nicht, hatte auch keine Angst, sondern ärgerte sich über seine Unachtsamkeit, welche ihn in diese Lage gebracht hatte. Auch konnte Tarabur nicht über seinen spontan vergnüglichen Gedanken lachen, als er sich vorstellte, dass er vieleicht jene damalige Maid sein könne und der Bär sich in einen wunderschönen Waldläufer verwandeln, mit dem er dann den Rest seines Lebens verbringen würde. Davon abgesehen hätte Tarabur sich mit dem Gedanken eines Zusammenlebens mit einem anderen Waldläufer ohnehin nicht anfreunden können.

Der Bär schien weiterhin keine Anstalten zu machen, sich auf Tarabur zu stürzen, sondern sah ihn stattdessen nur friedlich interessiert an. Wobei sich Tarabur bewusst war, dass es keine friedlichen Bären gab, beziehungsweise, dass man bei einem Bären, insbesondere eines fremden und so riesenhaften Bären, einen Gemütszustand nicht einschätzen konnte.

Davonzurennen erschien immer noch reichlich sinn- und hoffnungslos, so dass Tarabur versuchte, die momentan trügerische Ruhe, weiter zu beruhigen, indem er vorsichtig in seinen Taschen herumkramte, eine Eichel, eine Kastanie und ein altes Tuch fand, welches er der Reihe nach vorsichtig dem Bär vor seine Pfoten legte, um anzudeuten, dass von ihm, Tarabur, keine Gefahr, sondern nur irgendwelche sinnlosen Geschenke ausgingen.

Scheinbar schienen jene sinnlosen Gaben den Bären weiterhin ruhig zu stellen. Besser noch: der Bär, welcher zunächst vorsichtig auf Tarabur zutrottete, ging vorsichtig an ihm vorbei. Fassungslos blickte Tarabur dem Bären hinterher, welcher Andeutungen machte, als wenn er wolle, dass Tarabur ihm folgen solle.

Noch war der Abstand zum Bären nicht so ausreichend groß, dass sich hätte Tarabur Gedanken über eine Flucht machen können. Auch fand sich an jenem Platz kein Baum, auf den Tarabur hätte schnell genug klettern können, um dort vieleicht Schutz zu finden. Da sich der Abstand nicht weiter vergrößerte und der Bär tatsächlich auf Tarabur zu warten schien, dachte sich Tarabur, dass er den Bär nicht mit Warterei reizen wolle und schickte sich an, ihm langsam zu folgen. Tarabur staunte, als der Bär den Abstand, nachdem er ihn zu einem magisch wirkenden Baum, dessen Blätter wie kleine Leuchtwesen wirkten, was sicherlich an den Reflexionen des Mondlichts lag, geführt hatte, plötzlich deutlich vergrößerte. Doch kaum als Tarabur schon beinahe begann, die Magie dieses Platzes in Ansätzen als schön empfinden zu können oder gar zu genießen, erstarrte Tarabur erneut, als er eine schemenhafte Gestalt, die sich ihm, aus der entgegengesetzten Richtung des Bären, annäherte bemerkte.

Erneut schloss Tarabur mit dem Dieseits ab. War nun jener Moment gekommen, vor dem Anara ihn sooft gewarnt hatte? Ein grausliger Dämon, welcher ihn in sein dunkles Reich hinabziehen würde? Ein leicht bläulicher Schimmer kam näher und somit Taraburs vermeintliches Ende, vor dem er am liebsten die Augen verschlossen hätte, wenn da nicht jene wundervollschöne Weiblichkeit zu erblicken gewesen wäre, die Tarabur erkennen durfte. Hatte Tarabur jemals etwas so Schönes gesehen? Es erschien überirdisch und schien in sachtblau klimmenden Farben. Und obwohl diese Nacht besonders kalt war, hielt sich die Bekleidung jenes Wesens in sehr engen Grenzen. Um ganz ehrlich zu sein: Tarabur hätte lange suchen müssen und vermutlich nichts gefunden, was wie Kleidung aussah.

Falls es der Tod war, welcher ihn hier nun erwarten würde, wäre es zumindest ein sehr sehr schöner Tod, von dem er Anara dann gerne erzählt hätte, könnte er danach noch erzählen.

Der Tod setzte nicht ein. Stattdessen vernahm Tarabur das Wort "Dryade", mit dem sich jenes Wesen, welches aus den Bäumen oder diesem Baum gekommen sein musste, ihm mit sanfter Stimme vorstellte. Entweder war Tarabur bereits im Jenseits oder aber träumte oder aber er begegnete hier nun tatsächlich solch einem Geistwesen, dessen Existenz ihm nur sehr wenige jemals bestätigen konnten. Jene die von solch einer Begegnung ihm erzählten, belegte er zumeist mit Spott und der Mutmaßung, dass man sich wichtig machen wolle. Nun stand er selbst einer Dryade gegenüber; einer besonders schön anzusehenden.

Tarabur war viel zu aufgeregt, als dass er sich alles hätte merken können, was ihm jenes geisterhafte Wesen mit lieber Stimme zuflüsterte. Durchaus waren es viele schöne Dinge, wenngleich sich Tarabur mühen musste, bei dem Gehörten nicht verlegen zu werden. Zu erfahren war auch, dass jener Bär und Dryade zusammen gehörten, so dass Tarabur sich nun endlich sicher fühlte und endlich dazu kam, jenen Moment genießen und dankbar sein zu können.

Die Dryade wirkte auf Tarabur, bis auf ihren Bären, sehr leicht verletzbar. Sollte irgendjemand Falsches von ihrer Existenz erfahren, könne es um ihren Baum und damit um sie geschehen sein. Ein weiterer Grund für Tarabur, nachdem sich die Dryade wieder mit ihrem Baum vereint hatte, auch künftig darauf zu achten, dass er der Dame der Wälder immer treu dienen und Gefahren vom Wald und aller in ihm beheimateten Wesen, so gut es ihm gelingen möge, fernhalten würde.

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 Betreff des Beitrags: Re: Viele Monde
BeitragVerfasst: Mo 8. Mär 2021, 16:26 
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Das Dryadenerlebnis hatte bei Tarabur einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Während er schon vormals sich immer wieder darin versuchte, seiner Dame der Wälder - Mielikki - sich ausreichend würdig zu erweisen, selbst wenn er das ein oder andere Mal Zweifel hegte, so sah er sich nun umso mehr darin bestärkt, dass sein Glaube nicht nur ein Glaube war, sondern ihm zur Gewissheit geworden ist. Eine Gewissheit, welche ihn sich zurückerinnern lies, an jene Momente, in denen er in seiner Wut und Verzweiflung schon kurz davor gestanden hatte, sich einer anderen, einer dunklen Göttin hinzugeben, um Rache, Vergeltung, Qual und Tod über all jene zu bringen, denen er sich bisweilen in seinem Glauben unterlegen oder aber allein gelassen fühlte.

Wie gerne hätte er damals am liebsten die komplette Stadt Rivin in Schutt und Asche gelegt. Mehr als einmal brannte diese in seinen Träumen lichterloh. Dann wachte er schweißgebadet auf und er gedachte all derer, die von Steinen umgeben lebten, die ihm wichtig waren, die er liebte und denen er hierbei unverzeihliches Leid zugefügt hätte, anstatt nur jenen seine Rache zuteil werden zu lassen, die es verdient hatten, an die er aber nicht herankam, gegen die er machtlos war, von denen er wusste, dass sie ein Druckmittel gegen ihn hatten. Ihm selbst konnten sie kaum gefährlich werden. Dies wäre ihm damals auch vollkommen gleichgültig gewesen. Gerne hätte er sein Leben dafür gelassen, wenn dafür ein anderes, von ihm geliebtes Leben, sich hätte aus jener unsäglichen Umklammerung hätte befreien können. Er erinnerte sich an jene miese, bösartige, abartige Hin, bei der es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, sie vom Erdboden zu vertilgen. Doch sie hatte Macht über ihn, da sie Macht und Einfluss dort besaß, wo er, Tarabur, nicht zugegen sein konnte und macht- und hilflos gewesen wäre.

Sämtliche Gebete, Opfergaben, bis hin zu eigenen Blutopfern, von denen er wusste, dass das Einhorn dies niemals wünschen würde, bei welchen er beinahe verblutet wäre, die aber seine Verzweiflung deutlich machen und seine Hilfeschreie unüberhörbar machen sollten, liesen Miellikki in Stille verharren. In seinem beinahe blutleerem Wahnzustand erschienen ihm Visionen, in welchen der gesamte Wald in jene verbrecherischen Gebiete eindrang, alles und jeden dort unter seinen schnellst wuchernden Wurzeln begrub, sie mit Ästen und Dornen durchbohrte, den Wölfen ein Festmahl bereitete, um seine dort mit grausamsten Boshaftigkeiten Festgehaltene aus den Klauen jener verachtenswerten Kreaturen zu befreien. Als er damals erwachte, in den Armen seiner Gefährtin die ihn wieder ins Leben zurückholte, konnte er keine Dankbarkeit, sondern nur noch Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit empfinden. Wie sehr sich seine Gefährtin auch um ihn mühte, ihn zu überzeugen, dass all dies im Einklang mit dem Willen des Waldes geschehe, empfand er eine sich immer weiter steigernde Fremdheit, die ihm leid tat, letztlich aber zum Weggang zwang, um vergessen zu können, nicht wahnsinnig zu werden.

Die Gebete zu Mielikki verstummten bei ihm für geraume Zeit und fanden erst allmählich zu ihm zurück, nachdem er mehrfach vergeblich versucht hatte, seine Tätowierung eines stilisierten Einhorns von seiner linken Schläfe wegzuschaben. Jeden darauffolgenden Morgen, nachdem er sich gewiss war, dass jenes Zeichen nun endgültig getilgt sein musste, konnte er es wieder beim Blick im sich spiegelnden Wasser erkennen, wie es, wie von Dämonenhänden in sein Gesicht zurückgekehrt war.

Die Monde vergingen und mit Ihnen kamen Ereignisse, Erlebnisse hinzu, welchen seinen vormaligen Glauben wieder ein wenig zu festigen verstanden. Niemals wurde dieser Glaube jedoch wieder so innig, wie er dereinst, vor jener damaligen schicksalhaften Begegnung gewesen war, wenngleich er weiterhin den Glauben so ausübte, als hätte er niemals auch nur die geringsten Zweifel gehabt... sogar so intensiv ausübte, dass er mehrfach Versuche unternahm, ihm Bedeutende zum Glauben und zum Leben mit der Dame der Wälder hinüberzugeleiten.

Doch nun, nun endlich durfte er sich sicher sein, nachdem ihm jenes wundersame, unendlich schön anzusehendes Baumwesen leiblich erschienen war und ihn auch der ihm um ein vielfaches übermächtige Bär nicht ein einziges Haar gekrümmt, sondern zur Dryade geführt hatte, dass es das Einhorn wirklich gab. Das Einhorn, welches er sooft hatte erblicken können, jedoch weder den Worten anderer noch seinen eigenen Augen vollkommenes Vertrauen schenkte. Diese Dryade war greifbar und gefühlt konnte er bei jedem ihrer wundersamen Worte den Hauch ihres Atems fühlen, so nah war sie ihm gekommen.

Aber nicht nur sein mit Zweifeln versehener Glaube war nun zur Gewissheit geworden, sondern beim Anblick der Dryade auch das Gefühl zurückgekehrt, wie schön es sein könnte, diese Wälder nicht alleine, sondern mit so manch Anderer genießen zu dürfen. Mit anderen, die jenen, die seinen Blick für das Wundervolle nicht zu haben schienen, denen er aber auch jene Momente schenken wollte, die ihm insbesondere in sternenklaren Nächten geschenkt wurden, wenn er aus einer sicheren Baumkrone heraus, in wärmende Felle und Decken gehüllt, den klitzernden Sternenhimmel betrachten durfte, welcher über den Wäldern Rivins nun umso leuchtender zu erstrahlen schien.

Er wusste, dass er sein Erlebnis und sein Geheimnis für sich behalten würde... er hatte es der Dryade versprochen; zumindest hatte er es sich sehr fest vorgenommen.

Frohen Mutes vergrößerte Tarabur die Kreise seiner täglichen Wanderungen, welche ihn in Gegenden führten, die er zuvor nur vom Hören, Sagen kannte und deren Reiz seither nicht sonderlich groß auf ihn wirkte.

Während seiner Wanderungen konnte Tarabur erkennen, dass Vieles, was außerhalb der Wälder war, sich nicht im allerbesten Zustand befand. Zahlreiche Bewohner, denen er begegnete wirkten zurückhaltend und in Teilen durchaus auch misstrauisch. Insbesondere konnte er in den Gesichtern Vieler erkennen, dass Entbehrungen sich hineingefressen, und dass so manche Mägen bisweilen wenig Arbeit hatten. Wie üppig und reichhaltig erschien beim Anblick mancher Gegenden das Nahrungsangebot im Wald. Ja, auch dort war es jahreszeitbedingt eine hungrige Zeit. Jedoch hatte Tarabur nie die Befürchtung nicht satt werden zu können oder für Sternenwolf nicht ausreichend zu futtern zu finden. Hier, außerhalb der Wälder, sah es für ihn nicht so üppig aus und auch die ein oder anderen streng dreinblickenden Wächter, von einzelnen Befestigungen, deuteten für Tarabur ein Leben an, welches er nicht hätte teilen oder gar tauschen wollen.

Schließlich erblickte Tarabur die Umrisse einer nicht ganz unauffälligen größeren Befestigung, nachdem er im Vorfeld schon auf die ein oder andere, offensichtlich dem Schutze gedachter, Mauer gestoßen war und wo ihn kritische Blicke durchbohrten, die ihm nicht gleich ein wohlwollendes Weiterkommen zu wünschen schienen, bis er schließlich erklären konnte, dass von ihm keinerlei Gefahr ausginge, außer möglicherweise der ein oder andere ungebeten krabbelnde blutsaugende Gast, den er Dank Sternenwolf, regelmäßig im eisigen Bade zu entfernen hatte.

Kaum das Tarabur Einlass hinter die Mauern gewährt wurde, konnte er sehen, dass zahlreiche neuere Bautätigkeiten einen für ihn nicht ganz unbeeindruckenden Ort haben entstehen lassen, welcher so mancher Seele Schutz zu bieten schien. Wenngleich es an Seelenzahl nicht wirklich üppig war, was sich auf den Wegen in den Steinen antreffen lies. Für einen Städter wäre jener Ort nahezu als menschenleer durchgegangen, für Tarabur jedoch waren es mehr als genug, die ihn neugierig betrachteten, als er plötzlich den schallenden Hufschlag eines sich näherenden Pferdes vernehmen konnte.

"Oh!... wie schön. Es freut mich Euch zu sehen." richtete Tarabur seine, mit fröhlichem Winken unterstrichenen Worte, in Richtung Amua, welche er als jene Reiterin erkennen konnte, die sich mit ihrem Pferde näherte.

Wie immer durfte sich Tarabur an Amuas Anblick erfreuen, insbesondere wie sie ihn aus ihren blaugrün schimmernden Augen zu betrachten verstand. Wäre Tarabur als Pferd auf die Welt gekommen, er hätte vermutlich seine Freude an ihrem geringen Gewicht gehabt, was ihrem Pferd gleichfalls anzumerken war, welches mühelos und mit leichtem Gang jene schlanke Weiblichkeit durch die Gegend auf seinem Rücken reiten lies. Sollte dereinst Amuas Pferd nicht zugegen sein, könnte er ihr anbieten, sie in seinen Armen oder auf seinen Schultern durch die Gegenden Rivins zu tragen. Vermutlich würde Amua hier aber niemals zustimmen. Denn obwohl Amua nicht durch absolute Zurückhaltung glänzte, was Tarabur sehr gefiel, so hatte sie durchaus eine Ausstrahlung, die ihn fühlen lies, dass sie gewissem Luxus nicht abgeneigt war und er möglicherweise vom Stande nicht ihrem Niveau entsprach... aber dies war nur so ein Gefühl... ein Gefühl, welches ihn in den Vergangenheiten bereits das ein oder andere Mal, sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung fehlgeleitet hatte.

Taraburs zuvor gemachte Beobachtungen und Eindrücke bestätigten sich im Gespräch. Amua erzählte von einer nicht wünschenswerten Dunkelfee, von vormals hier eingefallenen Orkhorden und von irgendeinem Erzschatten, welche jene Gegend in Angst und Schrecken versetzten, sowie Leid und Zerstörung brachten. Dementsprechend war das volle vormalige Leben hier wohl noch nicht zurückgekehrt und dementsprechend wurden wohl auch Sicherungsmaßnahmen, mit Mauern und Bewachung beim Wiederaufbau verstärkt Beachtung geschenkt.

Erstaunlich war für Tarabur, dass all jene Gebiete und auch jener Ort, an dem er hier nun auf Amua traf, offensichtlich ihr gehörten, sie zumindest diesbezüglich einiges zu sagen und zu bestimmen hatte. Tarabur fand den Gedanken schrecklich, wenn er auch nur für einen klitzekleinen Teil des hier Gesehenen sich hätte verantwortlich fühlen müssen... um Nichts in der Welt wollte er sein Leben gegen solch eines einer Baronin, die Amua war, eintauschen; Amua welche zu allem Überfluss auch noch Hexenmeisterin war und jene Kunst beherrschte, welcher Tarabur für gewöhnlich gerne aus dem Wege ging, ihm jedoch nun die Gelegenheit bot, ein klitzekleinwenig mit Ansätzen von Lästerei zu kokettieren, was Amau sehr nett beantwortete: "Verzaubern geht auch mit einem Lächeln.".

Dennoch übte Tarabur sich weiterhin sicherheitshalber ein wenig in Zurückhaltung, da er sich bei Amua nie wirklich sicher war, wie sie reagieren könnte und ob sie möglicherweise den ein oder anderen Scherz weniger lustig finden könne als er. Wie auch immer es dazu kam, dass auch das Alter zu einem Thema wurde, ist nicht mehr nachvollziehbar. Allerdings erstaunte es Tarabur, dass Amua wesentlich jünger aussah, als sie es tatsächlich offensichtlich war, was an ihrer Abstammung liegen mochte, wo Drachenblut eine nicht unwesentliche Bedeutung hatte und Tarabur auf die Idee brachte, ob es nicht möglich wäre ein wenig Blut zu tauschen, wenngleich er dies nicht ohne Schmunzeln Amua kund tat.

So schön sich das Gespräch zu entwickeln schien, so hatte Amua als Baronin leider auch einige zu erledigende Pflichten. Wäre es nach Tarabur gegangen hätte jenes Gespräch noch ewig gehen können und hätte möglicherweise damit geendet, dass ihn Amua in den Wald begleitet hätte, um dort mit ihm den nächtlichen Sternenhimmel aus einer Baumkrone heraus zu genießen. Aber dies war ein vermutlich unerfüllbarer Wunsch. So jugendlich Amua auch aussah und so gut sie hätte allen möglichen fehlenden Komfort locker hätte ertragen und die Kühle der eisigen Sternennacht genießen können, so sehr schien sie auf einen Luxus Wert zu legen, welchen ihr Tarabur nie würde bieten können.

Aber was ist schon ein Himmelsbett gegen eine gut ausgepolsterte gemütliche Baumkrone, die einem im Nachtwind sanft in die Welt der Träume, hoch über dem Boden Rivin's Wälder wiegt? Oder das morgendliche Eisbad in einem frisch vom Eise freigeklopften Tümpel oder zum Stillstand gekommenen Bächlein, welches einen so wonniglich zu erfrischen versteht, dass einem hernach kein Knochen, keine Sehne, nichts mehr schmerzt und in der Folge der Tag entgegenlacht, während man sich trocken reibt? Oder das sichere Erklettern von Bäumen, anstatt das wackelige Getragen werden durch einen unruhig herumflatternden Drachen?

Gern hätte Tarabur Amua von all diesen Vorzügen überzeugt, hätten sie deren Pflichten nicht so zeitig abberufen. Aber auch für Tarabur wurde es Zeit. Er hatte einen weiten Weg zurück und Sternenwolf wartete sicherlich bereits sehnsüchtig auf ihn, um endlich auf die gemeinsame Jagd gehen zu können, in derem Nachgang dann zumeist ein Opfer dargebracht werden musste, was für Sternenwolf immer eine gewisse Gemütlichkeit auszustrahlen schien.

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In hundert Jahren, inzwischen auch deutlich weniger als in hundert Jahren, interessiert dies niemanden mehr.


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