>>Schwarze Feste, Puppenmeister und Unterministerialamtshauptmeisterin Lynxidis<<
Prüfend betrachtete die Erinnye Lynxidis sich im Spiegel - genau genommen war es kein Spiegel, sondern ein blank polierter Schild, der an einer der gewaltigen Säulen aus schwarzen, blankpoliertem Stahl oder Stein hing, denn Tyrannos Festung hatte offenbar keinen sonderlichen Bedarf an Spiegeln.
Die Säule war eine von vielen hundert Säulen, jede von ihnen quadratisch mit einer Kantenlänge von einem Meter und einer schwer schätzbaren Höhe von mindestens fünfzig Metern, die das gewaltige Dach dieses ebenso gewaltigen Saales trugen. Der Dekoration dienten Rüstungen, Waffen, Trophäen verschiedenster Wesen oder Schilde, wie in diesem Falle. Es war einer von den Sälen, in denen Tyrannos seine Gäste, potentielle Geschäftspartner oder Bittsteller warten ließ, um sie mit seinem Ruhm und seiner Macht zu beeindrucken. An den ebenso gewaltigen Wänden hingen riesige Gemälde, die zahlreiche seiner Schlachten dokumentierten. Mit mehr oder weniger genauer... Authentizität.
Sein ruhmreicher Sieg gegen Torm in Tantras etwa, bei dem der unterlegende Gott der Pflicht, will man dem Gemälde glauben, mit tränenden Augen zu dem siegreichen Tyrannos aufblickte, dessen muskulöser, entblößter Oberkörper nicht einen Kratzer aufwies. Die Schlachten des dunklen Gottes gegen die Bestien des Abyss an der Spitze ihm loyaler Teufel, wie er die Dämonen zurück in den Abyss drängte und so das Multiversum rettete. Sein Sieg über Cyric, als er nach seiner Rückkehr seine Domänen wieder an sich riss und den Lügenprinzen in den Dreck irgendeiner infernalisch wirkenden Ebene stieß. Die Rettung von Waukeen aus dem Abyss, die sich aus Dankbarkeit und Bewunderung dem dunklen Gott hingab, wie auf einem weiteren Bild dargestellt wird.
Vincent Veremin, der einstige Puppenmeister, betrachtete die verschiedenen Bilder mit schiefen Blick, sogleich war ein schwarzgerüstetes Skelett bei ihm, das zu seiner Überraschung nicht nur sprechen konnte, sondern sogleich ungefragt die ausgeschmückten Geschichten zu den Gemälden preisgab. Der Puppenmeister wagte nicht, die ihm erzählten Legenden zu hinterfragen, dies wäre an diesem Ort sicher äußerst unklug. Ungeduldig blickte er hin und wieder zu der Erinnye, die immer noch den Sitz ihrer Kleidung, Frisur und verschiedene Gesten und Positionen einzustudieren schien, nachdem sie nach langer Suche endlich etwas halbwegs spiegelähnliches gefunden hatte.
Tatsächlich war die Erinnye schon sehr aufgeregt. Sie musste alles richtig machen und sie hatte nur eine Chance. Wenn sie dem dunklen Gott Tyrannos den von ihm geforderten Vincent präsentierte, musste sie mit der richtigen Mischung aus Kompetenz, Pflichtbewusstsein und Verführung aufwarten. Dann, so war sie sich gewiss, würde der dunkle Gott sie direkt in seine Dienste nehmen. Anfangs noch zurückhaltend, würde er sie mit immer mehr und immer wichtigeren Aufgaben betrauen, die sie alle zu seiner vollsten Zufriedenheit erfüllen und damit in seiner Gunst und seinen Reihen aufsteigen. Zeitgleich würde sie nach und nach das dunkle Herz und die Lenden des Tyrannos erobern. Sie würde seine persönliche Stellvertreterin werden und ihre Macht würde unvorstellbare Dimensionen erreichen! Schluss war es mit der Sackgasse ihrer Karriere und der Position als Unterministerialamtshauptmeisterin der siebten Erfassungsbehörde von Avernus. Fortan würde ihr Dasein nur noch von Optimierung und Aufstieg geprägt sein.
Aber... dazu musste sie einen guten Eindruck machen.
In diesem Moment trat ein orkisch wirkendes, schwergerüstetes Muskelpaket von mindestens drei Meter Höhe durch ein großes doppeltüriges Stahltor in den Saal und rief den Namen des Puppenmeisters... nicht aber ihren. Er... er hatte das einfach ignoriert, dass sie sich und den Puppenmeister angekündigt hatte? Was dachte sie, wer sie sei, nur ein Bote? Gut, genau genommen war sie das. Aber... egal. Sie merkte sich diese Kreatur vor. Sobald sie erst einmal eine angemessene Position erreicht hatte, würde er die erste Person sein, die sie büßen lassen würde. Genau, sie machte sich eine Liste, so wie in der Hölle. In der Hölle war die Liste am Ende allerdings ziemlich lang und leider am Ende größtenteils unerfüllt gewesen. Aber hier würde das sich ändern. Ihr Aufstieg hatte jetzt endlich begonnen. Sie packte die Ketten, an denen Vincent hing und machte sich mit ihm auf den Weg durch das Tor.
Ein langer Gang befand sich dahinter, mit einer Treppe, die hinaufführte, bedeckt mit einem langen, roten Teppich. Unzählige Stufen, die beide zu erklimmen hatten. Um dann in einen anderen Saal von titanischen Ausmaßen zu gelangen, gegen den der vorherige Saal winzig wirkte. Die Treppe war nur eine von vielen Treppen, die in diesen Saal mündete, vermutlich um dem Besucher erneut seine Unwichtigkeit vor Augen zu führen. Und auf einem gewaltigen Schädelthron saß er, der furchteinflößende dunkle Gott der Tyrannei, des Hasses und der Angst. Tyrannos.
Lynxidis fühlte, wie ihr instinktiv bange wurde. Auf einmal fühlte sie sich nicht mehr motiviert, vielmehr spürte sie eine nie gekannte Furcht, die sich jeder Faser ihres Leibs bemächtigte und den aufsteigenden Wunsch, so schnell wie möglich weg, nur weg hier von dieser unsagbar gefährlichen, unendlich bösen Gestalt zu kommen. Dieser dunkle Gott war das entsetzlichste, was sie je erblickt hatte und sie hatte in den Höllen viele schreckliche Kreaturen gesehen. Doch nichts kam ihm gleich. Nichts war wie Tyrannos. Sie ging instinktiv auf die Knie, dabei merkte sie, dass Vincent das schon lange getan hatte. Der Puppenmeister, welcher trotz all seiner Macht im Leben nur ein Sterblicher war, war noch deutlich eingeschüchterter als die Teufelin.
Beide erzitterten, als sie des dunklen Gottes Stimme hörten.
"Wie unterwerfe ich den Rubin?"
Keine Begrüßung, keine Floskeln. Der dunkle Gott sprach ganz ruhig, aber seine Stimme war wie ein Donnern. Nur eine Frage. Keine Erklärung, kein Offerieren einer Belohnung und keine Androhung im Falle einer Nichtbeantwortung. Die hatte er nicht nötig. Er wusste, der Sterbliche würde antworten. Und der dunkle Gott irrte nicht. Vincent stammelte. Aber er antwortete.
"S..seid gepriesen, o großer T.. Tyrannos! Es soll geschehen, wie ihr wünscht..! Er.. erweckt mich zum Leben und sendet mich hinab u... und ich werde für euch..."
Der dunkle Gott machte nicht einmal eine Handbewegung. Vincent wurde in diesem Moment vernichtet, grünes Feuer verschlang seinen Geist und Körper und löschte ihn binnen weniger Sekunden aus, verbrannte ihn zu Staub. Lynxidis erstarrte vor Angst, als dies geschah. Keinen Augenblick später war Vincents Körper wieder neu erschaffen, aber dieses Mal als eine Kreatur ohne Arme und Beine, die zu Boden aufschlug und wimmerte.
"Wie unterwerfe ich den Rubin?"
Nur eine Nuance war da in der Tonlage des Gottes, eine Belanglosigkeit. Aber sie verriet der Erinnye und dem Sterblichen, dass Tyrannos die Frage kein drittes Mal stellen würde.
Und da erzählte Vincent ihm alles, stammelnd und wimmernd. Alles, was er über den Rubin wusste, von dessen Gründung bis hin zum Sternenreisenden, vom Regenprojekt und von der Infiltration verschiedenster anderer Organisationen, von den Machtkämpfen und den Zellen, verteilt in den entlegensten Winkeln der Welt Toril. Alles, einfach alles. Nicht zuletzt auch von den Auguren, welche in die Zukunft sehen konnten und den Rubin insgeheim lenkten, damit er sich zwar frei entwickelte, aber nie die geheimen Bahnen verließ, die sie für ihn vorgesehen hatten, was auch immer dies sein mochte. Der dunkle Gott wurde hellhörig und lauschte aufmerksamer, stellte Nachfragen zu den Auguren und ihren Fähigkeiten. Schließlich war er zufrieden.
"Gut.. eine letzte Frage... wer hat dich vernichtet?"
Vincent zögerte, überlegte. Aber schließlich sprach er laut aus, wem er die Schuld für sein Ableben gab (auch wenn er wohl eigentlich ganz alleine schuld daran war).
"Rauvyl."
"Dann herrscht sie jetzt.. oder ist auf dem Weg dahin?"
"N... nein, ich denke, eher nicht."
"Das war alles. Ich lasse dich wissen, wenn ich dich wieder brauche."
Ein Aufschrei erklang aus Vincents Mund, als das schwarzgerüstete, orkartige Ungetüm ihn mit einem Dreizack aufspießte und den arm- und beinlosen Körper wie ein auf eine Gabel genommenes Stück Fleisch wegbrachte. Lynxidis blieb alleine zurück. Sie zitterte am ganzen Leib.
"Mach mir diese Rauvyl untertan. Dann sehen wir weiter."
Lynxidis blinzelte. Des dunklen Gottes Stimme hatte nun nicht mehr bedrohlich geklungen. Das heißt, eigentlich schon. Aber sie hatte nicht mehr diesen absolut drohenden Unterton. Sondern eher den Klang befehlsgewohnter Selbstverständlichkeit. Er hatte sie vom ersten Moment an durchschaut, sie hatte nichts sagen müssen. Und sie verstand. Dies war ihre Chance. Doch wollte sie das überhaupt noch, jetzt da sie diese entsetzliche Gottheit leibhaftig erblickt hatte? Rasch verbannte sie jegliches Zögern aus ihrem Geist, sie wollte sogleich aufspringen und mit unterwürfiger Ergebenheit ausrufen, dass sie, Ja mein Lord, diesen Befehl ausführen würde.
Doch dazu kam sie nicht. Eine beiläufige Handbewegung des dunklen Gottes warf sie bereits durch ein sich bildendes Ebenentor, um sich gleich hinter ihr zu schließen. Als sie wieder aufblickte, war sie nicht mehr in Tyrannos Reich. Sondern in der Materiellen Ebene. Und vor ihr war ein Ortsschild, auf dem das Wort "Rivin" prangte.
_________________ ~"This ist my battle. This is my battleship."~
"Jene, die sich Abenteurer nennen, sind grausame Individuen aus einer anderen Welt. Sie sind auf der ständigen Suche nach neuen Opfern für ihre dunkle Gottheit Exp, die sie dafür mit immer stärkeren Fähigkeiten und Kräften ausstattet."
~Shadow is a man who never loses his virginity - because he never loses.~
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