"Warst du schon einmal verliebt?" Sein Mund fühlte sich seltsam an wie diese Worte über seine Lippenn quollen. Ungelenk und hastig dienten sie nicht dem Zwecke entspannter Konversation, sondern dem Versuch einem quälenden Hirngespinst ein Ende zu bereiten. Verschämt hob er dazu an sie zu wiederholen, hatte sein Meister ihn doch gelehrt stets mit fester und sicherer Stimme zu sprechen, doch Zayid ließ ihm diesen Fehler durchgehen. Er schloss großmütig die Augen und bedeutete ihm zu schweigen bis er sich eine passende Antwort zurecht gelegt hätte. Sie saßen an einem kühlen Herbstnachmittag im Kräutergarten und ließen sich von den letzen zögerlichen Strahlen der Sonne bescheinen. Zwar hatten sie den Unterricht für heute beendet, doch lockte sie das idyllische Abndrot noch ein wenig zu verweilen und schweigend dieses winzige Stück angedeuteter Ewigkeit zu genießen. "Zanya, Tochter von Abhek und Maya?" Idrís wäre rot angelaufen, wenn dies bei seiner dunklen Haut überhaupt möglich gewesen wäre. In einem befremdlich drohenden Tonfall antwortete der Diener und legte den Kopf in den Nacken ohne die Augen zu öffnen. Schwerfällig ließ er er ihn dann nach unten sinken und fixierte den Jungen aus dem stechend blauen, verbliebenen Auge. "Dies Weib ist kein Umgang für dich. Du wirst eines nicht allzufernen Tages Stadthalter sein und keinen Platz für jugendliche Schwärmereien haben. Du wirst lieben was dir vorherbestimmt ist. Schon HEUTE! Du wirst nur enttäuscht sein wenn du dir diese Flausen nicht augenblicklich aus dem Kopf schlägst, jeder noch so geringe Deut von Ballast sei er geistiger oder körperlicher Natur bleibt dir verwehrt. Weder ich noch dein Vater dulden, dass du vom rechten Weg abkommst -so süß dir die Frucht auch erscheinen mag... Ich hoffe ich habe mich klar genug ausgedrückt." Zayids Stimme war ruhig aber bestimmt und verlor in keiner Sekunde die gewohnte Strenge die er beinah so perfekt wie sein Vater beherrschte. Seine Worte klangen vorbereitet und doch schnellten sie mit einer natürlichen Zufälligkeit hervor, dass Idrís nicht sicher war was er von dieser unterschwelligen Tirade halten sollte. Vergeblich hatte er auf einen erlösenden Hauch von Verständnis gewartet. "Meine Frage wäre damit dennoch nicht beantwortet.", erwiderte er trotzig. Ein trauriger Seufzer entfuhr seinem Erzieher, der sich ob der Frage tatsächlich unwohl zu fühlen schien. Doch dann sollte etwas Einmaliges geschehen, dass seinen Schützling sowohl in seinen Träumen als auch in seinen Alpträumen für immer begleiten sollte. Der plötzlich sehr ältlich wirkende Mann beugte sich leicht vor, schloss bedächtig die Augen und begann ein Gedicht zu rezitieren, auf eine gleichermaßen sanfte und gekonnte Art, dass Idrís vor Anspannung vergessen sollte zu atmen, bis er geendet hatte:
"Als junger Mensch verspürt' ich einst Weit mehr als bloße Lust am Fleisch, Das Rauschen meines Blutes war, Das Flattern einer Engelsschar.
Wenn mein Kopf trunken, Die Zunge trocken, Vom ewig gleichen Bild gezehrt, Ward des Haares feiner Pinselstrich, Zum Ausgleich sanft von mir genährt.
Des Abends war ich ausgelaugt entfremdet gar, Mein Geist lag stumm und brach, Erstarke ich des morgens neu -Streich Tausend und eine Facette nach- Entschlief ich nicht bevor ich sah Der Sonne Licht ein Letztes Mal
Die Göttin silber schimmernd, Trägt schattenlos ihr schönstes Kleid Und ruht kokett mit ihrem Finger Auf meinem Haupt und all das Leid, Das ich zu lang ertragen hab Wich währender Glückseligkeit
Mit greller Stimme sprach sie dann, Und sollte nie verstummen, Stirb nun Stirb den ew'gen Tod, Nur dir allein ist es gelungen; Wahrlich, Liebe wird erst satt, Wenn sie auch DEINE Seele hat."
Nach einer kurzen Pause, während der er seine Position in einen lockeren Schneidersitz verlagerte und sich wieder gegen die mächtige Dattelpalme lehnte, deren breites Blattwerk sich im selben Takt vor und zurückwog wie er selbst, nahm er das Gespräch wieder auf. Der Sanftmut sollte nur langsam abklingen. Idrís spürte wie schwer es ihm fallen musste wieder zu seiner alten Strenge zurückzufinden. "Das ist von Nykosh. Der Titel ist unbekannt. Tatsächlich fand man ihn tot auf. Mit offenem Mund völlig ausgedörrt, aber die Feder noch in der Hand, hat er so lange Zeit über diesen Worten gebrütet wie die Sonne gebraucht hat über ihm zu braten - so sagt es zumindest der Volksmund." Die wirren Fragen und Zweifel die der Junge bis dahin gehabt hatte, waren einer Zufriedenheit gewichen die er sich selbst kaum erklären konnte. Und das seltsam beruhigende Gefühl winzig klein in einem gewaltigen Universum zu sein machte sich in ihm breit. Eine quälende Sekunde der Selbstbeherrschung verstrich. Dann platzte es aus ihm heraus. Sein Gelächter schallte über die Mauern der Kasba hinaus, und nur den Bruchteil eines Augenblicks später mischte sich der tiefere, langgezogene Laut eines erfahrenen, eigentlich beherrschten Mannes hinzu, der wohl erleichtert war, dass er nicht verlernt hatte wie man richtig lacht. Eine kühle Brise kündigte die nahende Nacht an. Das ungleiche Paar erhob sich nach einer Weile des Schweigens in einer stillen Übereinkunft und trottete beinahe widerwillig zum mittleren Atrium. Jedesmal wenn Idrís sich zurückerinnerte, war er aufs Neue erstaunt, dass dies der letzte bewusste Augenblick war, an dem er absoluten Frieden verspürt hatte. Es war die Rückkehr ins Haus die ihm das Gefühl ungetrübter Ruhe gegeben hatte. Naouda nannte es etwas verworren 'den Abschluss des Abgeschlossenen'. Der finale Geist, bar jeglichen Zweifels kreiste er nur um sich selbst. Ohne jede Richtung blieb er der endlose Punkt. Dem Wahnsinn so nah und doch so unfassbar fern.
"Vielleicht vermag nur ein Gott dies Gefühl zu begreifen. Wir schwelgen in unserer ungezähmten Trunkenheit und beflecken diesen Segen, als sei er menschlicher als wir selbst." Naouda schien sich tatsächlich einen lauten Rülpser für diese Gelegenheit aufgespart zu haben. "19 Jahre mussten vergehen bevor ich lernen würde wie man die Augen richtig aufschlägt. Das bedeutet 190 in Limbus-Jahren verdammt nochmal! Die einzigen Bilder die ich kannte waren schattenhafte Schemen wie man sie erkennt, wenn man mit geschlossenen Lidern dem sengenden Sonnenlicht entgegenstarrt und spielerisch die Finger, einen nach dem anderen vorbeiziehen lässt um die Abstufungen der Dunkelheit wahrzunehmen."Er hielt für einen Moment perplex inne . "Ja ich hab das letztens ausprobiert. Fühlte sich schrecklich an. Ein feines Deja Vu sondergleichen. Und du?! Du hast in goldene Schüsseln gekackt und mit irgend einem Glatzkopf blinde Kuh gespielt. Willst du mich neidisch machen?!" "Das Poem sollte dir bekannt vorkommen. Das war der eigentliche Grund für die Erinnerung. Du hast vollkommen Recht. Du hast nichts als Schemen wahrnehmen können. Du konntest nicht schmecken tasten sehen oder riechen. Aber hören - das konntest du. All dein Wissen, die Fähigkeit zu sprechen und so manche Phrase die du von dir gibst hast du schoneinmal gehört. Du verwechselt deine Ohren mit deinen Augen, so wie du Schmerz mit Trauer, Zorn mit Hass, Liebe mit Lust verwechselst. Du wirst nichts entgegnen. Du weißt, dass ich Recht habe. Ja zieh dich zurück. Verdränge mich. Flieh! Du weißt selbst, dass es dir nichts bringt. Der Nachhall dieser Worte wird ein Beben auslösen und du wirst mich rufen nachdem du dir einen Weg aus den Trümmern gebahnt hast." Die Wellen donnerten gegen die Klippen; in ungleichem Takt des grollenden Gewitters machte die Natur einen schrecklich Krach, dass Naouda es kaum mehr aushalten woilte und sich mit den Handflächen die Ohren zuhielt. Er würde noch bis zum Sonnenaufgang so dasitzen und warten bis sich die See wieder beruhigte.
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