Es war eiseskalt, während fahler Mondschein durch das Dach der Wälder Rivins nur spärlich bis zu Taraburs Lagerstätte fand, welche er notdürftig in einer kleinen Erdsenke errichtet und mit allerlei Geäst abgedeckt hatte, so dass die kaum vorhandene Wärme nicht gänzlich entweichen konnte, insbesondere die kalten Winde ihn nicht umtosten, als er ein leises Schnüffeln vernehmen konnte, auf welches er schon eine ganze Weile gewartet hatte, nachdem ihm aufgefallen war, dass sich seine Spuren mit anderen Spuren eines noch kleinen Wolfes immer wieder kreuzten. Anfangs konnte Tarabur erkennen, dass diese Spurkreuzungen zumeist zeitlich weit auseinander lagen, während im Laufe der Zeit sich diese Abstände immer weiter verkürzten. Zu diesen Jahreszeiten kam es immer wieder vor, dass schwächere Tiere, so auch junge oder sehr alte Wölfe, von ihren Rudeln zurückgelassen wurden, wenn sie nur als hungriges Maul der Sippe zur Last fielen, jedoch nichts zum spärlichen Jagderfolg beitragen konnten.
Sämtliche Spuren deuteten auf solch eine zurückgelassene, vom Rudel ausgestoßene arme Tierseele hin. Eine Tierseele, die versuchen musste, irgendwie zu überleben, was zu dieser Jahreszeit und als junges, vermutlich stark geschwächtes Einzeltier kaum gelingen konnte, außer es würde ein ihm unterlegenes Opfer oder aber Aufnahme in ein anderes Rudel finden. Für ein solches Tier konnte Tarabur kaum als Opfer geeignet sein. Tarabur war zwar über den Zenit seiner Kräfte schon seit geraumen Zeiten hinweggeilt, jedoch immer noch in dem Maße rüstig, dass es für einen jungen, ausgestoßenen Wolf klar sein musste, dass ein wie auch immer gearteter Verzweiflungsangriff nicht gut für das Tier enden würde. Entweder war also jenes vermutlich schon sehr geschwächte Wolfstier vor dem direkten Hungertod stehend und demenstprechend zu solch sinnvoll abwägenden Gedanken nicht mehr in der Lage, oder, und dies schien Tarabur wahrscheinlicher, war es die verzweifelte Hoffnung, den ein oder anderen Speiserest an jenen Orten finden zu können, an denen Tarabur hätte welche übriglassen können, was Tarabur dann, obwohl er selbst nicht im Überfluss zu essen hatte, absichtlich in größerem Umfang für seinen Verfolger gerne unter Geäst auslegte. Allerdings hielt sich Tarabur mit der zur für den Wolf bestimmten Nahrungsmenge dennoch zurück, so dass einerseits der Hunger des Wolfes weiter zunehmen musste und andererseits hierdurch auch der Leichtsinn des Wolfes sich ihm immer näher an Tarabur herankommen lies. So entstand im Laufe der Zeit bereits ein gewisse Nähe und auch Neugier aufeinander. Beim Wolf vieleicht auch ein Gedanke, dass er in Tarabur möglicherweise sogar jemanden finden könne, der ihm nichts Böses will und wo er möglicherweise sich auch sicherer fühlen könne. Solch ein geschwächter Wolf konnte leicht selbst zum Opfer werden und benötigte zusätzlichen Schutz.
Nun also endlich war jenes Schnüffeln direkt an Taraburs Unterschlupf zu vernehmen. Wirklich viel an Nahrhaftem hatte Tarabur nicht am Rande seiner Erdbedachung ausgelegt, jedoch eine Essensspur, welche bis zu ihm in sein Lager hinein führte. Plötzlich war das Schnüffeln verstummt, anstatt, dass es näher gekommen wäre. Sehr vorsichtig kroch Tarabur der gelegten Spur entlang und sah schließlich die Umrisse jenes Tieres, welches soeben die letzten Lebensgeister verloren hatte. Nur noch ganz schwach und selten atmend wäre es in Kürze verstorben und es grenzte an ein Wunder, dass jenes restlos ausgemerkelte Geschöpf es überhaupt noch bis hierher geschafft hatte. Sehr vorsichtig näherte sich Tarabur weiter an. Auch ein dem Tode nahes Geschöpf konnte durchaus noch im Moment eines letzten Aufflackerns des Odems reichlich Unheil anrichten... oftmals mehr Unheil als ein gesundes Tier, weil, so hatte es Tarabur vielfach erleben müssen, jenem letzten Odem eine ganz besondere Kraft innewohnt, der sich mit letzter verzweifelter Anstrengung dem Todesreich somit entziehen, diesem ein Schnäppchen schlagen möchte.
Doch hier war auch jener letzte Odem bereits nahezu erloschen und Tarabur befürchtete schon, während er die Feuchtigkeit in seinen Augen emporsteigen fühlte, dass die Dame der Wälder jenes junge Leben nun wohl endgültig zu sich holen wird. Für den Moment dachte Tara ein kurzes weißes Leuchten zwischen den im Dunkeln liegenden Baumriesen erkennen zu können. War es jene Dame, die vorbeihuschte, um zu sich aufzunehmen, was Kinder ihres Waldes waren oder war es ein Zeichen, welches Tarabur gewahr werden sollte, dass er bitte keine weitere Zeit solle verstreichen lassen, sondern jenes Häuflein Elend versuchen sollte ins kaum noch vorhandenen Leben zurückzuführen. Tarabur beugte sich über den jungen, beinahe toten Wolf, umwickelte ihn mit seinem Mantel und trug ihn mit Leichtigkeit in seinen Unterschlupf. Viel Gewicht hatte dieses arme Geschöpf wirklich nicht mehr, strahlte auch keine Wärme mehr aus. Tarabur entledigte sich all seiner Kleider, schmiegte sich eng an den Wolf und breitete ein paar der Decken über sich und den Wolf aus, in der Hoffnung, ihm von seiner Wärme geben zu können. Nur vorsichtig drückte er jenes Tier, welches allzu zerberechlich wirkte, an sich heran und war sich beinahe sicher, dass es zu spät für eine Rettung war, während er jenes Lied leise vor sich hinsummte, welches ihm dereinst seine Gefährtin vorsang, als er, Tarabur, an der Schwelle zum Jenseitigen stand. "Vefalle nicht dem Waldeskampf, werde Teil von ihm und eins mit der Harmonie der Dame der Wälder.". So oder so ähnlich war jener damalige Text, welcher er seinerzeit nur noch schwach vernehmen konnte, ihm jedoch jene Kraft spendete und jenes Leuchten in ihn zurückkehren ließ, welcher nun hoffte, dass es jenem Geschöpf, mit der Hilfe Mielikkis gleichsam ergehen würde. Es gab noch weitere Strophen. Diese waren ihm jedoch noch mehr entfallen und so summte Tarabur gefühlt die ganze Nacht, bis er hierüber eingeschlafen sein musste, das Häufchen sterbendes oder bereits gestorbenes Elend, weiterhin sachtsanft umärmelnd und wärmend.
Möglicherweise war es dem Einschlafen Taraburs verschuldet, dass jenes Liedelein sein Ende finden und hierdurch eine gewisse Art von letzter Verärgerung ob jenes Verstummens bei dem Elendwölfchen auszulösen in der Lage war. Denn kaum dass das Gesumme verstummte, war ein leichtes Knurren zu vernehmen und auch das Stupsen einer Wolfsnase unter Taraburs Achsel, in welcher sich jenes Tierlein nun doch von alleine ein wenig eingeschmiegt hatte und in welches das Leben in Form der Forderung einer Zugabe zurückzukehren schien.
Auch manch anderes schien zurückzukehren, wie Tarabur durch das ein oder andere zwickende Gefühl erspüren durfte. Nicht nur in das Wölflein kehrten die Lebensgeister, sondern auch in jene kleinen Gesellen, die sich blutsaugend zwischen allerlei Haar- oder Fellpracht daran machen, überall für reichlich juckende Befleckung zu sorgen. Durchaus störend wurde dies von Tarabur empfunden, jedoch nahm er jene ungebetenen Zusatzgäste gerne mit bei sich auf, wenn nur das Wölflein, welches nun schon beinahe gleichmäßig und tief zu atmen schien über die Runden dieser Nacht hinwegkäme.
Je mehr es Tarabur juckte, kratzte zwickte, umso besser schien es seinem neuen Besuch zu gehen, welcher inzwischen tief und fest in Taraburs Armen schlief und durch das hin und wieder erkenn- und spürbare Strampeln seiner Pfoten erkennen ließ, dass so manch Träumereien durchfuhren. Tarabur's Onkel, ein damals bereits hochbetagter aber niemals die Steine betreten habender Mann, hatte dereinst Tarabur erzählt, dass ein Wolf, der in den Armen eines Menschen träumt, der größte Seegen ist, der einem in fellgewordener Form zuteil werden kann und dessen Treue niemals mehr vergehen wird.
Tarabur empfand zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ein Gefühl, welches er als allergrößtes Glück in den Wäldern so kaum noch kannte, sich kaum noch daran erinnerte. Er, Tarabur war zwar durchaus gerne auf sich allein gestellt und nur für sich allein verantwortlich, zog die Einsamkeit den großen Gesellschaften vor. Doch entsprang dieses gerne auf sich allein gestellt sein oder die freiwillige Einsamkeit eher den gemachten Erfahrungen vieler ungewollter und nicht verhinderbar gewesener Abschiede, wecher dereinst auch zum Verlassen jener hiesigen Wälder bei ihm führte, um Vergessen zu können.
So sehr sich Tarabur also über sein neu gewonnen Ungeziefertransporteur freute, so sehr fühlte er jetzt schon die ahnende Traurigkeit, die ihn dereinst erhaschen wird, wenn eine sich nie dauerhaft abwendbare schicksalhafte Trennung ergeben wird.
Tarabur schnaufte bei diesem Gedanken tief durch, was ihm sein Wölflein sodann mit zufrieden klingendem Lefzenflattern gleichtat.
Der Tag brach an und Tarabur spürte den nassen Lappen im Gesicht, welcher sich als Wolfszunge erkennen ließ und ihn offensichtlich einen guten Morgen wünschen wollte. Die Lebensgeister schienen nahezu vollständig zurückgekehrt sein, so dass Tarabur sich traute, ein wenig des Knochenmark der extra zurückgelegten Knochen zunächst herauszukratzen und seinem neuem Begleiter anzubieten, welcher beinahe ein wenig übermütig und zu gierig jenes Festmahl in sich hineinschlang. Gerne hätte Tarabur noch ein wenig mehr verfüttert, jedoch wollte er mit zunächst kleineren Mengen beginnen, um nicht gleich alles verfüttert zu haben und auch, um den nun an strengsten Hunger gewöhnten Wolfsmagen nicht zu überlasten, was ihm ein ziemlich unzufriedenes Knurren entgegenbrachte. Tarabur richtete sich kurz auf, blickte mit ernster Miene in Richtung der knurrenden Quelle und, es schien, als ob jener Wolf durchaus ein feines Gespür für gewisse Situationen hatte, ausreichend Überzeugungskraft auszustrahlen, um das Knurren schlagartig zu beenden.
Noch war jenes neu gewonnene Wöflein ziemlich wackelig auf den Pfoten und die ersten Schritte, die Tarabur des Morgens in seiner Umgegend machte, musste er so einige Male eine kurze Rast einlegen, um Sternenwolf, wie er ihn, ziemlich einfallslos nach jenem Wolf benannte, mit dem er vor zahlreichen zurückliegenden Monden, fremde Wälder durchstreifte. Sein damaliger Sternenwolf hatte, außer dass es auch ein Wolf gewesen ist, nahezu keine Gemeinsamkeiten mit dem aktuellen Sternenwolf. Sternenwolf senior war ein einzig muskelbepacktes, riesengroßes Wolfsungeheuer, während Sternenwolf junior, den er fortan der Einfachheit halber trotzdem nur Sternenwolf nennen und rufen würde, reichte ihm, sofern er sich auf vier Pfoten bewegte, gerade mal bis knapp unter den oberen Teil seiner Oberschenkel. Vom Gewicht musste Tarabur befürchten, dass Sternenwolf einem Sturm kaum standhalten hätte können und auch sonst gab es so Einges, was Sternenwolf aufholen musste, um so zu werden, wie man sich einen richtigen Wolf vorstellt. Aber... da war sich Tarabur sicher, diese Wandelung vom klepprigen Winzling zum ausgewachsenen Wolf würde im Laufe der Zeit gelingen.
Auch wenn Tarabur sich nun hätte am liebsten die ganze Zeit auschließlich um seinen neu gewonnenen Freund gekümmert hätte, so mussten doch Dinge im Wald erledigt werden, welche dafür sorgten, dass auch weitere Tag folgen würden. Im Gegensatz zu jener Phase, in denen sich beider Spuren zunächst nur sporadisch kreuzten, war Sternenwolf dahingehend ein Wolf, dass er, wollte er nicht entdeckt werden, tatsächlich nicht entdeckt wurde. Jetzt, in Taraburs Nähe, schien jene Wolfstugend ein wenig abhanden gekommen zu sein, und während Tarabur möglichst unauffällig den Wald durchstreifen wollte, sprang Sternenwolf wie ein junger verspielter Hund in der Gegend herum und veranstaltete einen Lärm, welcher nur noch durch Hundegebell oder in diesem Fall Wolfsgeheule hätte überboten werden können.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis in dieser sich dann auch auf Tarabur ausbreitende Unbekümmertheit, fehlende Zurückhaltung und fehlende Vorsicht ein lehrreiches Mahnmal ergab, als Sternenwolf und Tarabur in ihrer nun vollkommenen Unachtsamkeit zu nah an ein nicht rechtzeitig bemerktes Wolfsrudel gelangten. Sternenwolf wäre ein leichtes Opfer gewesen und jaulte bereits kräftig auf, als auch Tarabur ein ziemlich imposantes Wolfsexemplar die Wade mit den Abdrücken eines beeindruckenden Gebisses verzierte. Glücklicherweise wurde Tarabur nicht am Arm oder der Hand erwischt und konnte gerade noch seine Klingen ziehen und deren Werk verrichten lassen, was die restliche Rudelmeute davon überzeugte, von Sternenwolf und ihm abzulassen, während jener Gebissabdrucksverewiger sein bedauerliches Ende finden musste. Tarabur konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Wolf ins Reich seiner Ahnen überzusiedeln. Ob ihm dies die Dame der Wälder jemals verzeihen würde? Sternenwolf kam in geduckter Haltung herangekrochen, wohl wissend, dass die vormals heitere Stimmung eine Menge an ihr innewohnender Heiterkeit verloren hatte. Tarabur hätte natürlich schimpfen können. Jedoch war Tarabur selbst unachtsam gewesen und weshalb sollte er schimpfen, wenn Sternenwolf zu ihm kommt. Sternenwolf hätte möglicherweise daraus gelernt, dass wenn er sich Tarabur nähert, er hierfür getadelt wird. Tarabur drückte Sternenwolf an sich, legte den erlegten Wolf über seine Schulter und machte sich, leicht humpelnd zurück zu seinem Lager, während Sternenwolf regelrecht mit seiner Wade verwachsen schien, so wenig traute er sich nun von Tarabur, welcher offensichtlich Schlimmeres hatte verhindern können, zu entfernen.
Interessiert betrachtete Sternenwolf die nun folgenden Zeremonien, welche Tarabur im Gedenken des unglücklich aus dem Leben geschiedenen Wolfes begann. Ein notdürftig aus umliegenden Hölzern zusammengebauter Schrein, einige wohl überlegte Worte, zahlreiche entschuldigende Verbeugungen vor dem toten Wolf und dem mit viel gutem Willen erkennbaren Schrein begannen Sternenwolf irgendwann zu langweilen, so dass Tarabur kurz seine Beherrschung zu verlieren drohte und Sternenwolf begriff, dass der momentane Zeitpunkt für etwaig Langeweile vertreibende Spielereien wohl nicht in diesem Augenblick hatte sein sollen und noch warten musste.
Sternenwolfs Zeitgefühl war weiterhin nicht mit jenem von Tarabur im Einklang, bis es Tarabur endlich aufgab, weiterhin Sprüche in Richtung des vermeintlichen Schreins, der langsam in sich zusammensackte, abzusondern und endlich Zeit für Sternenwolf fand, nachdem der andere Wolf dem Erdreich übergeben war, um im nächsten Leben als prächtige Eiche dem Wald dienen zu dürfen.
Auch wenn Sternenwolf sehr verspielt und dementsprechend nicht immer ausreichend vorsichtig zu sein schien, erkannte Tarabur, dass Sternenwolf sehr gut beobachten, deuten und verstehen konnte. Und so machte sich Tarabur, ob jener Geschichte, welche ihn in Stadtdingen in Grübeleien brachten, zu Rivins Steinbehausungen auf. Sternenwolf blieb selten weiter als eine Fußlänge von Taraburs inzwischen etwas mit geronnenem Blut verschmutztem Beinkleid entfernt, bis schließlich die Stadtmauern in Sicht kamen. Tarabur gab Sternenwolf zu verstehen, dass er bald zurückkäme, jedoch Sternenwolf nicht mitdürfte. Schwer zu sagen, ob Sternenwolf wirklich verstand oder was er verstand. Aber offensichtlich schienen die Gedanken Taraburs in die Gedanken Sternenwolfs hineinzureichen und so blieb Sternenwolf mit sehnsuchtsvollen Augen zurück... hoffend, Tarabur käme bald zurück. Tarabur bereitete Sternenwolf noch einen schönen und geschützten Platz, nahe am Waldausgang und entschwand schließlich in den Steinen, um zu sehen, ob er sich weiterhin Gedanken um jenes bedauerliche Geschöpf machen müsse, welches er in einer nicht für alle Seelen geeigneten Hafenkneipe bemerkt hatte. Möglicherweise, so sein Gedanke, könne er sie ja für die Gedankenwelt Mielikkis begeistern und ihr Dasein ins Gute wandeln. Dieser Gedanke seiner Missionierungsgefühle erschien ihm umso dringender geboten, wenn er an jenen Wolf dachte, welcher seiner und Sternenwolfs unbekümmerten Unachtsamkeit zum Opfer fallen musste. Es galt das Gleichgewicht wieder herzustellen, bei dem die eine gegangene Seele Platz für die andere Seele macht. Dieser anderen Seele galt es, einen Besuch abzustatten, auch wenn die Erfolgsaussichten noch so gering erschienen.
Tarabur hatte sich dem Hafenbereich zu einem guten Teil genähert, als er plötzlich jener Weiblichkeit bis beinahe vor den Brustkorb lief, welcher er vormals im Frankys kennenlernen durfte, und die ihm gar freundlichst, so Taraburs Empfinden, das Flicken seiner Kleider angeboten hatte.
In der Erinnerung war Anara bei der vormaligen Begegnung bereits recht beeindruckend an Ausmaßen und an bemerkenswerter Gestalt. Doch nun, hier an jenem, dem Hafen nahen Bereich erschien sie ihm geradezu gewaltig und auch ein wenig einschüchternd. Gut, Tarabur hatte im Frankys bereits ein leckers Schaumgetränk hinter sich, bevor er auf Anara traf. Möglich, dass dies seine Sinne ein wenig benebelt hatte. Auch war ihm, in Gesellschaft der damalig anderen Weiblichkeiten nicht so bewusst geworden, dass die Wortwahl Anaras und ihres möglichen Ansinnens jene Wucht hatten, wie diese nun auf ihn herniederprasselte. Sie war nicht unfreundlich... nein, das war sie wirklich nicht. Im Gegenteil. Sie erwähnte sogar erneut das Angebot des Kleiderflickens. Aber jene anderen Worte waren dann schon ein wenig befremdlich für Tarabur, welcher eher der sachteren und vorsichtigeren Wortwahl, so wie er es von seiner Dame der Wälder und sie sicherlich auch von ihm erwarten konnte. Trotzdem, obwohl Tarabur sich schwer tat, nicht laufend zu erröten oder komplett die Sprache, ob jener Direktheit und der ein oder anderen Anzüglichkeit zu verlieren, so fiel es ihm auch schwer, nicht das ein oder andere Mal sich ein Lachen nicht unterdrücken zu können.
Der Abend entwickelte sich, wie sich Abende in den Steinen entwickeln müssen. Sehr ungewöhnlich. Eine leicht abwesend erscheinende Gestalt, welcher mit jener Vertieft- und Weltenentrücktheit in einem Buch sich geradezu eingegraben hatte, gesellte sich versehentlich hinzu, woraufhin sich ein Gespräch entwickelte, welches Tarabur ein wenig Entlastung bot, indem er versuchte Anara ein wenig auf jenen Buchling zu lenken. Gra seltsame Dinge musste Tarabur vernehmen, ohne, dass er noch wüsste, wer dies alles jeweils und wie genau gesagt hatte. Vermutlich war es Anara, da der Buchling, welcher sich als Seraph auszugeben schien, in Teilen derart der Welt entrückt wirkte, dass ihm Tarabur gar nicht zugetraut hätte, dass er jenes Alter erreicht haben konnte, welches er offensichtlich trotzdem erreicht hatte. Gefühlt wäre dieser Buchling in jeden offenen Brunnen gefallen, den man ihm in seinem Lektürenwahn in den Weg gestellt hätte und dort lesend ertrunken, möglicherweise ohne es zu bemerken. Seine Zusatzverglasung im Vorfeld seiner Augen verstärkten diesen Buchlingsweltentrücktseinseindruck nochmals deutlich und paarte sich mit einer in gewisser Art und Weise sehr vornehmen Art, die Tarabur wiederum sehr schätzen konnte, wenngleich ihm einiger seiner Aussagen hinsichtlich der Hafengegend und der dortigen Örtlichkeiten ein wenig verunsicherten. Aber Tarabur war in Gedanken einerseits bei Sternenwolf, wie es ihm wohl im Moment ergehen mochte, und andererseits in jener Hafenkneipe dessen Besuch seine Mission sein sollte, die wiederum von Anaras teilweise erschreckenden Geschichten über fliegende Städte, Dämonen und allerlei weiterem Ungemach, gepaart mit ihrer nicht sehr zurückhaltenden und auch etwas einschüchternden Art, ob ihrer auf Tarabur wirkenden Gewaltigkeit, reichlich verwirrten. Und dann überall diese in unendliche Höhen aufgetürmten Steine, welche teilweise von bemitleidenswerten Holzumrandungen gehalten werden mussten und aus deren Innerem eine Geräuschkulisse sich entlud, die Tarabur einiges abverlangte.
Tarabur wollte natürlich nicht unhöflich erscheinen, sprach jedoch den Grund seines Erscheinens in der Hafengegend an, weswegen er weiter wolle. Er nannte nicht seine Mission. Aber er nannte Lola, deren Name hier niemand zu kennen schien, was möglicherweise auch daran lag, dass sie hier nicht die Beachtung empfang, welche sie hätte verdienen sollen... geachtet und geehrt.
Anara schienen Taraburs Gedanken weitestgehend fremd zu sein. Im Gegenteil. Für sie war, nachdem die Hafenkneipe mit Namen Belerians endlich erreicht und betreten ward, Anara und Seraph schienen Tarabur sehr gern hierher zu begleiten, es offensichtlich etwas absolut Normales, dass jene Lola, die dort zu arbeiten hatte, äußerst schäbig mit unschönen Worten erniedrigt und ausgenutzt wurde. Solch ein Gebahren kannte Tarabur kaum und begann innerlich zu brodeln. Glücklicherweise erschien Sila. Sie verbreitete mit ihrer, auf Tarabur sehr beeindruckend wirkenden Kleidung, einem sehr schönen und edlem priesterlichen Gewand, all Jenes, an was es diesem Ort zu fehlen schien... Würde, Anstand, Freundlichkeit, Achtung, Höflichkeit und vieles mehr. Am liebsten hätte sich, damit er nicht sein Fassung verlöre, Tarabur nun gerne nur noch ausschließlich Sila gewidmet, bot ihr, Anara und dem Buchling, mit Namen Seraph daher an, sie auf ein köstliches Gebräu einzuladen, was, wovon Tarabur ausging ein wenig gute Manieren auf den Rest der hiesigen Seemanns- und Tagelöhner- und sonstiger ungehobelter Strolchgesellschaft abfärben könnte.
Vor allem ein Tagelöhnergeselle fiel Tarabur besonders unangenehm auf und die Zeiten, dass sich eine Situation entwickeln könne, wo es Klingen zu schwingen galt, schienen nicht mehr sonderlich fern. Lola schien dieses ekelhafte Kneipengebahren und die Abfälligkeit, mit der sie dort behandelt wurde und auch die vielen Erniedrigungen, die sie sich anhören musste, nicht in dem Maße zu stören, wie es sie hätte stören müssen, so dass Tarabur beschloss, mit gutem Beispiel voranzugehen und Lola und den anderen die Augen zu öffnen, wie ein Umgang miteinander aussehen könnte.
Wenn Tarabur ganz ehrlich gewesen wäre, so hätte man vermutlich erkennen können, dass seine Befürchtungen inzwischen Ausmaße angenommen hatten, bei denen er sich in Waldesgegend wesentlich sicherer gefühlt hätte. Tarabur war nicht mehr der Jüngste. Desweiteren wirkten einige der hiesigen Gestalten nicht unbedingt so, als wenn sie geborene Opfer wären. Ungewöhnlicherweise musste sich Tarabur eingestehen, dass er nicht unglücklich darüber war, dass Anara in der Nähe war, welche offensichtlich das ein oder andere Mütchen ein wenig Zurückhaltung üben ließ und Tarabur sein ein wenig groß wirkendes Mundwerk dann in die Lage versetzte noch ein wenig weiter anzuwachsen, indem er dieser verachtenswerten Männerschar eine großspurige Lehrstunde angedeihen ließ, wie man sich zu benehmen hat, hierfür die entsprechende Aufmerksamkeit einforderte, was eine Stimmung erzeugte, bei der möglicherweise nicht mehr viel gefehlt hätte, dass die Kneipenausstattung in Kleinholz und Tarabur noch viel schlimmer geendet hätte.
Die Dame der Wälder muss Taraburs edlen Absichten sehr geachtet und für seinen Schutz gesorgt haben. Der Einäugige, der nun ebenfalls in den Genuss einer anständig aufgegebenen Bestellung kam und Lola, die nun endlich mal erfahren durfte, wie es ist, geachtet zu werden, dessen war sich Tarabur sicher, würden ihre künftigen Schlüsse daraus ziehen.
Das leckere Bier ward gezapft, das Innenausstattung vernichtende Aufbrausen all der üblen Gesellen blieb aus, sicherlich wegen der Dame der Wälder... vieleicht auch wegen Anara... und es kehrte beinahe so etwas wie ein bisschen Würde in jene unwürdigen Räumlichkeiten ein, als die Krüge erhoben wurden und das leckere Gebräu seinen Weg in die trockenen Kehlen fand. Mit Ausnahme Anara's Kehle, welche offensichtlich den gar köstlichen Geschmack nicht so sehr zu schätzen wusste, sich jedoch ungewöhnlicherweise, so erschien es Tarabur, einen Ruck und ihr bestes hinsichtlich eines würdigen Abends gab.
Dass die Bezahlung, wie es in solchen Hafenspelunken vermutlich üblich ist, mit den üblichen Gaunereiversuchen seitens des Wirtes ein wenig ins Stocken geriet, muss kaum erwähnt werden. Selbst Tarabur, welcher nun wahrlich nicht die Rechenkünste als die größten Fähigkeiten seines Könnens herausstellen würde, erkannte jenes frevelhafte Gebahren des Einäugigen, bei dem man sich in der Folge musste, weshalb er nicht der KeinÄugige war. Aber auch hier schien Tarabur ein wenig von der Stimmung und dem Harmoniegesang der sich im Winde wiegenden Baumriesen des Waldes an jenen Ort gebracht zu haben, so dass der Wirt seinen Frevel alsbald erkannte und geläutert den gerechteren Lohn entgegennehmen durfte. Und auch Lola wurde ausreichend bedacht.
Es war nun Zeit Abschied zu nehmen. Für Lola begann nun, so Taraburs Gedanken, sicherlich eine Zeit des InSichGehens, und möglicherweise der Gedanke an Freiheit und ein besseres, ein würdiges Leben. Der getötete Wolf schien gesühnt, zumindest in Teilen... der Wille zählt, dachte sich Tarabur und so verließ er nachdem er sich von allen verabschiedete, insbesondere auch ein wenig wehmütig von Sila verabschiedete, deren wundervollen Gewänder, welche Sila zu einer ganz besonderen Sehenswürdigkeit machten, jenen nun ein wenig geläuterten Ort, nicht vergessend, den Segen der Dame der Wälder zu hinterlassen, sich vorfreuend auf Sternenwolf in die Wälder begebend und auch nochmals an Anara denkend, welche er möglicherweise ebenfalls Teile seiner Unversehrtheit verdankte und jenem Buchling, den es so vermutlich nur in den Steinen geben konnte... doch tatsächlich sah er Sina und Lola vor seinem inneren Auge, bis er endlich Sternenwolf, der ihn beinahe umrannte, als er sich aus den Silhoutten der städtischen Ummauerung schälte, erkannte.
*Danke, dass Tarabur das Belerians schadlos überstehen durfte :-) *
_________________ In hundert Jahren, inzwischen auch deutlich weniger als in hundert Jahren, interessiert dies niemanden mehr.
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