Oh weh! Was war hier nur passiert? Es dauert eine kleine Weile bis Zarra wieder klar denken kann. Sie sieht sich um. Da liegt sie, ihre Peinigerin. Erst bruchstückhaft, dann zunehmend detaillierter dringt die Erinnerung in ihren Geist. Sie flitzte hin und her, um die Reste des großen Festes, das die Ilharess gab zu beseitigen. Sie war sehr pedantisch, wenn es um Ordnung und Sauberkeit ging, was sie als Zeichen des Status ansah. „Nur ein Tauge- und Habenichts kann sich kein aufgeräumtes und sauberes Domizil leisten. Wir sind weder das Eine, noch das Andere, also seht zu, daß hier alles funkelt!“ So sagte sie es sehr oft. Doch so schnell Zarra auch rannte, Sass’ra genügte es nicht und so flog die Peitsche oft in ihre Richtung, um sie noch mehr anzutreiben. Es war ein offenes Geheimnis, daß Sass’ra Zarra hasste. Doch niemand wagte es, dieses Thema in ihrer Gegenwart anzusprechen. War sie auch nicht älter, als die anderen hier, stand sie doch in Sachen perfider Grausamkeit den Alten in Nichts nach. Vermutlich durfte sie deswegen auch alle anderen hier herumkommandieren, wie es ihr gefiel. Zarra indes wusste wohl, woher ihr Haß auf sie rührte, vernahm sie doch einmal ein Gespräch, bei dem ein junger Drow darüber spottete, wie ähnlich doch ihrer beider Namen klangen und ob sie nicht gar Schwestern seien. Dummerweise war er unachtsam und bemerkte somit nicht, daß Sass’ra zugegen war und alles mit anhörte. Dieser Tölpel hatte kurz darauf einen bedauerlichen Unfall, den er leider nicht überlebte. Zarra fragte sich, warum sie noch keinen hatte. Sie fürchtet den Tod nicht. Was sie bisher im Leben schon erlebte, ließ ihn zuweilen recht verlockend, wie einen Urlaub erscheinen. Doch da war noch dieser Drang in ihr. Der Drang, mehr zu sehen, mehr zu werden und am Ende allen Sass’ras ihre Grenzen aufzuzeigen. Und natürlich seit einiger Zeit dieses Brennen… Niemand wusste davon, also niemand hier. Die Faern hatten offenbar einen Verdacht und gaben sich mit ihr ab. Allerdings nur so, wie sie ihre Experimente behandelten. Vielleicht wagte es Sass’ra nur nicht, ihnen ihr Spielzeug zu zerstören? Zarra ist sich sicher, ginge es allein nach ihr, wäre sie nicht mehr unter den Lebenden. Es muß ihr wahrlich wie ein Fluch der dunklen Mutter selbst erschienen sein, mit Ihr in einem Atemzug genannt, gar verglichen zu werden. Tatsächlich war Sass’ra eine wahre Schönheit. Schlohweißes, glänzendes Haar, eine Haut und Figur, von der viele nur träumen können. Ihr stand sicher ein glanzvoller Aufstieg im Haus Dyrr bevor. Und dann ist da sie. Zarra. Recht klein und schmächtig geraten. Ihre Haare sind ein einziger Graus, zumindest unter ästhetischen Gesichtspunkten. Ihre Augen, tiefrot und kein bisschen schön, wie es Sass’ras waren, in ihrem dezenten Purpur. Und obschon sie zumindest ebenso geschickt ist, wie Sass’ra wirkt jede ihrer Bewegungen nicht ein Zehntel so elegant wie die von jener. Insofern war Sass’ras Ärger wohl nachvollziehbar, mit ihr in einen Topf geworfen zu werden. Doch heute ging sie eindeutig zu weit. Zarra meinte, die Peitsche unentwegt über sich zischen zu hören und bekam auch weit mehr als gewöhnlich davon zu spüren, so daß ihre Haut schon aufplatzte. Dazu kam, daß das Brennen in ihr sie heute besonders plagte. Sie wusste nicht, was das war oder woher es kam. Anfangs, als es vor wenigen Jahren begann, tat sie es als normales Unwohlsein ab und sprach auch nicht darüber. Das Unwohlsein zu erwähnen, bedeutet schwach zu sein. Und Schwäche wird ausgemerzt! Doch das Brennen nahm allmählich immer weiter zu, bis es sich heute irgendwie entlud und offenbar Sass’ra traf, die nun tot am Boden liegt. Einen kurzen Augenblick nur gestattet Zarra sich den Luxus, überrascht zu sein, bevor sie sich umwendet und die anderen ansieht, die ihrerseits durchaus überrascht dreinschauen. Damit hatte wohl niemand gerechnet. Dann bricht es schon wieder aus ihr heraus. Zwar geht diesmal nichts zu Bruch und es wird auch niemand von was auch immer getroffen, doch die anderen wirken, als sähen sie den Schrecken selbst und weichen etwas zurück. Unwillkürlich wandert Zarras Blick gen einem der nahezu überall hängenden Kristallspiegel im Raum. Komisch. Was haben die nur? Sie findet nichts an sich, was die Reaktion der anderen erklären würde. Doch sei`s drum. Sie gibt sich keinerlei Illusionen hin. Zum einen wird die Schockstarre oder was immer die anderen gerade davon abhält sich auf sie zu stürzen oder Meldung zu machen, nicht ewig anhalten und ebensowenig will sie darauf warten, was wohl passiert, wenn all das hier bekannt wird. Und das wird es. Todsicher. Ihr bleibt nur eins, sie muß hier weg. Und zwar schnell. Zarras Blick gleitet an sich herab. Die Gewandung einer Magd … Damit kommt sie wohl nicht weit. Etwas Besseres muß her. Die schön gearbeitete Lederrüstung Sass’ras fällt ihr in den Blick. Die wird sie wohl kaum noch brauchen. Zarra zieht sie also Sass’ra aus und legt sie sich an. Na ja, ein bisschen groß ist sie schon, doch fällt das nicht sonderlich auf. Mit einem letzten Blick auf die anderen, denen sie bislang in ihrem Haus verbunden war macht sie sich auf den Weg. Nur gut, daß es keine laute Explosion oder dergleichen gab. Tatsächlich scheint noch niemand etwas vom Vorfall im Festsaal mitbekommen zu haben. Zarra lenkt ihre Schritte so gemessen und selbstbewusst, wie es ihr in dieser Situation nur irgend möglich ist, gen Ausgang. Nur weg von hier! Aber nicht auffallen! Bei Lolth! Nur nicht auffallen! Es scheint wahr zu sein, daß Kleider Leute machen. Wundersamer weise scheint sie niemand wirklich zu erkennen, trug sie doch ansonsten immer nur ihr Stoffgewand. Ein Teil ihres Verstandes beschäftigt sich bereits mit ihrem Überleben außerhalb der Mauern des Hauses, womöglich gar außerhalb jener Menzoberanzens. Es wäre wohl töricht, unbewaffnet zu gehen. Eine Waffe musste her. Eine, mit der sie auch etwas anfangen kann. Womöglich war es der Wille der dunklen Mutter selbst, daß sie niemand aufhielt und daß sie sogar noch eine Klinge unterwegs „einsammeln“ konnte, bevor deren Besitzer den Verlust überhaupt bemerkte. Niemand kümmerte sich um sie, als sie durch das Tor hinaus tritt. Mit stolz erhobenem Haupt, wie es sich geziemt geht Zarra ihres Weges. Sie sieht nicht zurück…
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