>>Pyarados, Tay<<
Kerep, seines Zeichens Roter Magier und Tyrannospriester, hob andächtig seine Hände und wirkte einen weiteren Zauber auf den bereits von magischen Krankheiten gepeinigten und gekrümmten Sklaven, der in Ketten zu seinen Füßen lag. Ein weiterer Schrei entwich der röchelnden Kehle des Sklaven und sein Leiden ging weiter, seine Augen voller Tränen in einem Blick voller Angst und Hass.
Das war gut, das war wichtig in diesem prunkvollen, dunklen Tempel des Bösen, der Tyrannos zu Ehren errichtet war. Deshalb freute sich Kerep immer, wenn es unter den Sklaven in Pyarados einen Aufständischen gab, denn diese zerbrachen nicht so leicht. Wenn sie zerbrachen, war da nämlich nur noch Angst, nicht aber der brennende Hass. Und Kerep wollte beides, immerhin diente er dem Gott der Angst und des Hasses. Er genoss die Hilflosigkeit seines Sklaven mit Wonne und die Macht, die er über ihn hatte. Dies befriedigte einen äußerst niedrigen Trieb in ihm.
Die versammelten Gläubigen schlugen mit ihren geballten Fäusten auf ihre Brust und lobten und preisten Tyrannos, ihren Gott und Herrn, mit immer lauter werdendem Jubel.
Womit keiner gerechnet hatte war, dass auf einmal hinter Kereb der Raum in einer giftgrünen Wolke schier explodierte und eine dunkle Präsenz sich manifestierte, die jeden der Anwesenden erstarren ließ vor Angst, vor Angst in einer nie gekannten Intensität, die sich in ihre Herzen schlich und ihre Muskeln regelrecht festkettete. Alle hatte nur noch den Gedanken zu fliehen, doch keiner wagte es, auch nur eine Bewegung zu machen.
Ein muskulöser, ansehnlicher Krieger mit markanten, aber herablassenden Gesichtszügen und rabenschwarzem, langen Haar, in dunkle, aber fürstliche Kleidung gehüllt und mit festen, stählernen Stiefeln trat aus dem Nebel, in seinen Augen war das, was normalerweise Weiß ist, schwarz und die Pupillen leuchteten blutrot, er überragte alle in diesem Raum bei Weitem. Die von einer giftgrünen Energie umzogene, leuchtende rechte Hand ließt keinen Zweifel mehr - ein Avatar des Tyrannos. Selbst der aufständische und gepeinigte Sklave verneigte sich vor Angst.
Kerep blickte mit geweiteten Augen zu der Erscheinung, er wusste nicht, ob er sich freuen sollte oder nicht. Meistens bedeutete das Auftauchen eines der Avatare des Fürsten der Finsternis nichts Gutes für seine Anhänger, denn meistens tauchte er nur auf, um seine Unzufriedenheit zu zeigen.
Der Avatar des Tyrannos blickte zuerst über die knienden Maßen der Anhänger, dann zuletzt auf den Priester dieses Tempels und verzog die Gesichtszüge nur geringfügig. Schließlich sprach er mit donnernder Stimme.
"Kerep, mein Diener. Ich bin zufrieden mit dir und habe beschlossen, dir die Möglichkeit zu geben, dich zu beweisen."
Eine Handbewegung des Avatars reichte und Kereps Geist wurde mit Visionen überflutet. Er sah, sich selbst auf einem großen, eisernen Thron sitzen, über ganz Pyarados herrschend. Die Reichtümer der Stadt wurden zu seinen Füßen ausgeschüttet, die Frau, die ihn abgewiesen hatte, lag in Ketten vor ihm, ihr zarter Leib nur von Sklavenlumpen bedeckt, sie seiner Gnade ausgeliefert, seine Widersacher und Konkurrenten gepfählt aufgereiht und alle, die je an ihm gezweifelt hatte, knieten voller Furcht vor ihrem neuen Herrscher. Die Visionen gingen weiter, zeigten Kerep, wie seine Macht noch größer und umfangreicher wurde und selbst den großen Szass Tarm in die Knie zwang. Er würde der unbesiegbare und unbestrittene Herrscher Tays werden. Er gackerte fast wie ein verrücktes Kind vor Freude über diese Möglichkeit.
Was er nicht wusste war, dass alle seine Anhänger ähnliche Visionen hatten, wie jeder von ihnen sich als Herrscher sah, solange er nur Tyrannos treu diente und sich vor ihm bewies. Tyrannos schätzte kein Chaos, doch ein gesunder Konkurrenzkampf und der Antrieb seiner Anhänger, sich ständig gegenseitig zu übertrumpfen, war ein gut funktionierender Motor für seine gewaltige Maschinerie der Tyrannei und des Bösen. Anders als bei chaotischen Göttern durften sie sich jedoch nicht gegenseitig umbringen oder dergleichen, um aufzusteigen, sondern mussten ihre Loyalität, ihre Treue und ihren Wert als Diener beweisen, mussten ihre Aufgaben besser erledigen als alle anderen und nach Möglichkeit die Aufgaben der anderen mit, mussten die anderen ausstechen und möglichst viele Erfolge für sich beanspruchen. Natürlich sah letztendlich jeder sich selbst als derjenige, der am Ende ganz nach oben aufsteigen würde.
Jeder wollte jetzt gut dienen, um zu Kerebs Seite aufzusteigen. Jeder wollte dann auf seine Chance warten, sich vor Tyrannos selbst zu beweisen, damit er sehen würde, dass er ein besserer Diener als Kereb war. Jeder im Raum wollte die Macht, die Tyrannos ihnen scheinbar bot. Keiner sah, dass jeder einzelne von ihnen letztendlich ein austauschbares Zahnrad war, das nur wie jedes andere dafür sorgen musste, dass Tyrannos gewaltige Maschinerie weiter angetrieben werden konnte. Eine Maschinerie der Eroberung, Unterwerfung und Unterdrückung, die keine Pause und keine Ruhe kannte, sich immer weiter bewegen musste und jedes einzelne seiner Zahnräder letztendlich verschließen und ersetzen würde, wenn es seinen Dienst nicht mehr tat.
Doch dann... wandte Tyrannos sich ab, als wäre er enttäuscht und die Visionen endeten jäh, ließen alle in der brutalen Realität wieder ankommen.
"Nein. Ich... habe mich getäuscht, das Potential ist nicht ausreichend."
Der Avatar schritt zurück zu dem giftgrünen Strudel aus dem er eingetreten war. Entsetzen blieb zurück im gesamten Raum, blankes Entsetzen, das für einen Moment noch größer wurde, als die Furcht vor dem Avatar an sich, nämlich die Furcht, von ihm nicht geschätzt zu werden, sich nicht vor ihm als würdig zu erweisen, nicht als sein Diener über die anderen herrschen zu dürfen.
Eine Furcht, die es sogar schaffte, dass Kereb es wagte, zu sprachen, obwohl er solche Angst vor dem Avatar selbst hatte.
"Neeein! Mein Herr, bitte verlass uns nicht, wir tun alles, was du verlangst, alles, was du willst!"
Der Avatar warf einen gelangweilten Blick zurück, als würde er seufzend zu einem verkrüppelten Hund sehen, der trotz gebrochenen Kiefers versuchte, ein Stöckchen für seinen Meister zu apportieren. Doch jener herablassende, gelangweilte, ja fast schon genervte Blick gab seinen Anhängern und Kereb einen Hauch von Hoffnung.
"Was.. was immer du wollst, mein Gebieter..."
"Nun gut. Ich gebe dir... eine einfache Aufgabe. Unterwirf so viel wie möglich von dieser Stadt. Verzehnfache deine Anhänger. Du hast einen Mond. Dann sehen wir weiter."
Und damit verschwand der Avatar und ließ Kereb mit offenem Mund stehen, der dann rasch und euphorisch sprach.
"Ja, so sei es, mein Meister, wie du willst!"
Und alle in dem Raum sagten dasselbe. Selbst der Sklave, denn auch er hatte die Visionen erhalten. In Tyrannos Maschinerie war jeder willkommen. Jeder hat sie Chance, ein Zahnrad zu werden. Jeder hat die Chance, zu verschleißen. Wichtig war nur, dass die Maschinerie lief. Alle in diesem Raum würden dafür sorgen. Alle in diesem Raum würden mit vollem Eifer der gegebenen Aufgabe nachkommen, und sich beweisen. Und alle würden betrogen werden.
Und was sie noch nicht wussten war, dass Tyrannos in jedem Tempel in ganz Tay erschienen war.
_________________ ~"This ist my battle. This is my battleship."~
"Jene, die sich Abenteurer nennen, sind grausame Individuen aus einer anderen Welt. Sie sind auf der ständigen Suche nach neuen Opfern für ihre dunkle Gottheit Exp, die sie dafür mit immer stärkeren Fähigkeiten und Kräften ausstattet."
~Shadow is a man who never loses his virginity - because he never loses.~
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