Ein Unbekannter hat geschrieben:
Längere Zeit war es friedlich gewesen um den großen Platz vor dem Frankys und der Vorfall, der sich einige Zehntage zuvor ereignet hatte, aus der Erinnerung verblasst. Doch als die Strahlen der herbstlichen Sonne noch wohlwollend auf jenen Platz fielen, einige Gäste sich bei ausnahmsweise besserem Wetter auch nach draußen setzten, musste etwas passiert sein. Niemand hatte eine Person an den großen Baum treten sehen oder außergewöhnliches bemerkt. Aber die Tatsache, die dort nun abermals wie ein Mahnmal hing, war nicht zu leugnen. Rasch wurde erneut die Bürgerwehr zur Stelle gerufen, war dort oben an der Runde erneut ein Kunstwerk ausgehangen worden. Das Material schien auf den ersten Blick weiche Tierhaut zu sein, doch der süßlich-metallene Duft von Blut verriet eindeutig, dass kein gewöhnlicher Maler dies gefertigt und ausgestellt hatte.
Über den Passanten, wie schon zuvor ein paar Manneslängen droben, war die Haut aufgespannt, nein, mehr eingelassen in den großen Baum. In der Mitte war sie offenbar zusammengenäht worden, um mehr Leinwand für das Malwerk zu bilden.
Wie schon zuvor war die Farbwahl sehr beschränkt, zeichnete sich die Szenerie in schwarzen, weißen und abgestuften Rottönen vor dem Auge des Betrachters ab.
Die Abbildung mochte diesmal einer kurz gefassten Geschichte gleichkommen, gab es jedenfalls einen deutlichen Kontrast zwischen der linken und der rechten Hälfte, die von jener feinsäuberlichen Naht getrennt wurden.
Zur Linken war regelrecht festliche und gelöste Stimmung auszumachen wie dort mit feiner Pinselführung die Umgebung eines Waldes dem Auge schmeichelte. Rötliche und dunkle Stämme, die trotz des primitiven oder perversen Farbstoffes keine Bedrohlichkeit ausstrahlten oder Unruhe erweckten, sondern die Töne warm gehalten waren und die Dunkelheit schlicht der Tiefe der Wälder anhaften mochte. Eine bergende Umarmung, die mehr Halt versprach als alles, was man in seinem eigenen Heim finden konnte. Im Mittelpunkt der waldigen Szene war ein Hain auszumachen, wo sich der Blickfang auch sogleich zeigte. Ein Reigen der fabelhaften Wesen, die der Volksmund den verworrenen und fremden Wäldern zuschrieb. Dryaden, deren Blätterhaupt die Farben des Herbstes in vielen Schattierungen des Rot widerspiegelte, so verliebt dem Detail zur Haut getragen, dass der Künstler sie mehr in der Flora beobachtet haben musste, denn aus der Phantasie gezogen. Dazu Nymphen, deren Schönheit selbst auf der einfachen Abbildung zu einem hingerissenen Seufzer einlud, die Leiber weiß wie die Unschuld und nackt. In den gemeinschaftlichen Tanz waren dazu noch Satyren mit ihren Hörnern und Hufen auszumachen, deren Mimik eine Mischung des schmalen Grades zwischen heiterer Ausgelassenheit und unverhohlener Affektion aufzeigte. Doch aber diese wirkten trotz ihrer Gestalt wie von einer positiven, kaum greifbaren Aura der Friedfertigkeit umhüllt, die Augen leuchtend weiß und die Hörner gleichsam hell, dass sie auch wahrlich mehr einem lustigen Stelzbock glichen, denn bedrohlichen Mischwesen. Selbst einige der Bäume, die diesem verborgenen Fest beiwohnten, schienen sich zu wiegen und mitzutanzen. Aufmerksame Betrachte könnten gar Gesichter und Augen in einige Ausprägungen der Rinde interpretieren. Eine Idylle, die so ein Äon halten mochte und selbst in schwerster Zeit doch die Gelassenheit, die die Natur versprechen konnte, anpries.
Doch selbst jene Harmonie mochte mit einem scharfen Schnitt enden.
In der Mitte der gesamten Leinwand von Haut waren verdrehte, kranke und tief schwarze Büsche sowie Unterholz dem Pinsel des Malers entsprungen, die bedrohliches Unheil verhießen. Im Schatten des verderbten Abschnittes drängte sich eine Vielzahl grausiger Kreaturen, teils von tiefer Finsternis kaum auszumachen, teils noch die Schatten, andere dafür doch umso deutlicher in den Vordergrund gerückt. Schattenhafte Wolfskreaturen auf zwei Beinen, deren rote Augen in wilder Blutgier sich auf die elysische Lustbarkeit richteten. Verzerrte, weibliche Schatten mit deutlichen Konturen von Hörnern und fledermausartigen Flügen, die ihre langen Finger schon über das Buschwerk ausstrecken gedachten. Seltsame Kreaturen, die wie hochgewachsene Humanoide Wesen aufragten, über und über von Stacheln bedeckt und mit gebogenen Schwänzen versehen. Kleine, schlanke elfengleiche Krieger mit tiefroten Augen, die Grausamkeit verhießen. Eine ganze Menagerie des Übels und Grauens, die einzig von jener schmalen Linie noch getrennt wurden Verwüstung und Leid auf die Unschuld niederregnen zu lassen.
Aber es war am rechten Rande des blutigen Hautbildes, wo sich wieder die Reinheit des Weiß zeigte. Äste, die von oben herabhingen und sich wie Schlingen um die Halse mancher dieser abscheulichen Geschöpfte legten - nicht allein bindend, sondern der Haltung der gefangenen Monstrositäten nach zu urteilen langsam erwürgend. Wurzeln, die von unten nach den Fesseln der aufmarschierenden Höllenkrieger griffen. Ganz rechts konnte man auch nun jenen gewaltigen Stamm des Baumes ausmachen, der weiß und erhaben aufragte und deutliche Parallelen zu dem ersten aufwies, der dereinst hier angebracht worden war. In ihrem wilden Geifern schienen die gesammelten Unheilsbringer jedoch weder den Baum noch sein Wirken auf die Mitstreiter zu bemerken. So drängten die Äste schwer herab, durchstießen und pfählten einige blasse Männer, die schon beinahe mehr Skeletten ähnelten, denn noch lebenden Menschen, die Haut fahl und dünn sich lediglich noch über die ausgemergelten Schädel spannte. Die schwarzen Kutten färbten sich alsbald rot unter dem Wirken des wütenden Baumes. Einige der dunklen Elfen hatte es ebenso erwischt, Männer und Frauen, ja gar einige kleinere Gestalten, die Kinder sein mochten, waren nicht verschont worden für ihre Bösartigkeit, wie sich das Astwerk durch ihre Köpfte bohrte, sie emporgehoben wurden und aus blutenden, blinden Augen auf die einstigen Missetäter sahen, die in Kürze ebenso ein Ende finden mochten.
Auf der sonst so reinen Rinde des großen Baumes waren diesmal verschlungen Zeichen eingebettet, die sich hinabschlängelten von den oberen Ästen bis zum Stamm. Auch hier war der rote Farbstoff des Lebens zum Tragen gekommen, so dass es wie ein pulsierendes Bluten des Baumes selbst wirkte, der kein Harz trug, sondern das Blut der Feinde in jenen feinen Bahnen seinen Weg fand etwas mitzuteilen. Wer des Elfischen mächtig war, würde alsbald die Lettern als des Espruar zugehörig deuten können und mit ein wenig Aufwand mochte auf der Inhalt zu lesen sein:
Verderbnis trägt auf finst’rer Schwinge
Ins Herz pulsierender Natur
Chaos wider aller Harmonie.
Ohn’ Wächter ist kein Hain
Nimmer nun auf
Immerdar.
Acht verhängt dem Scharlatan.
Allzu lange mochte das „Kunstwerk“ nicht haften, auch wenn es erst mit dem Weichen der letzten warmen Sonnenstrahlen aus der Rinde entfernt sich in die Hände der Justiz begab.