Sie wollte nie mehr in den Nimmerwald, nicht nach allem, was sie dort erlebt hatte. Aber ihr Wissen wurde gebraucht und so machte sie sich auf. Ihre Schritte waren schwer auf den letzten Metern. War es richtig? Sollte sie nicht alle warnen, zu verschwinden? Sie betrat das kleine Lager, welches den Gefahren des Waldes Widerstand leisten wollte. Und Damian zeigte ihr das Zelt, wo der Nordmann sich fiebrig herumwarf.
Ein Schwall stickiger Luft schlug ihr entgegen, war geschwängert vom Geruch nach Schweiß und Blut. Aber das war es nicht, was der Schamanin den Atem raubte: das arkane Gewebe war verändert und hatte alles wie ein unsichtbarer Nebel eingehüllt. Ruhig Blut! Eins nach dem anderen! Sie konzentrierte sich. Zuerst einmal galt es das Fieber zu lindern, ehe der Leib des Nordmannes von innen verglühte. Sie musste ihn am Leben halten – und dazu legte sie kalte nasse Leinenwickel auf. Behutsam tupfte sie mit nassem Tuch über seine spröden Lippen, und gierig leckte er das kühlende Nass ab. Durst! Sie tränkte ihn mit Wasser, dem sie Kräutertinktur beigab. Die Bitternis würde er in seinem Zustand nicht schmecken. Danach galt ihr Augenmerk seinem verletzten Rücken. Da waren die Wunden des eingedrungenen Holzes. Fleischwunden, entzündet. Aber das war es nicht, was sie beunruhigte. Es war die Schwärze, die sich davon ausbreitete wie ein Tropfen Öl auf einer Wasserpfütze. Diese Schwärze zeigte dem Auge, was im Leib des Nordmannes vorging: Er wurde verzehrt! Doch wovon?
Behutsam bettete sie ihn wieder auf sein Lager und legte ihm eine schützende Rune auf seine Brust. Dann erst nahm das kleine Töpfchen mit dem schwarzen Pulver zur Hand. Ruß und Asche – sorgsam bewahrt von der letzten Opferung an den Herrn der Flammen. Sie spuckte hinein und verrührte mit dem Zeigefinger alles zu einer schwarzen Paste. Zwei Striche zog sie damit über Wotans Stirn – und bat dabei die Geister um Verbindung. Zwei Striche zog sie über ihre eigene Stirn und bat Kossuth um Erkenntnis. Rhythmisches Klirren der Armreifen erfüllte das Zelt wie der Klang von silbernen Zimbeln, die Schamanin wiegte sich vor und zurück und fiel in Trance. Sie spürte es: das was in ihm war, zog das Leben aus ihm heraus und nährte sich von seiner Lebenskraft. Es war eine Präsenz, die ihr unbekannt war, kein Name, keine Zugehörigkeit offenbarte sich ihr. Aber sie erkannte etwas anderes – und das ließ das Blut aus ihrem Gesicht weichen: Das Gewebe war verändert um ihn herum – es war die gleiche Veränderung wie damals im Nimmerwald… der Dämon…. Es musste davon ausgehen.
Railanta unterbrach die Verbindung und schnappte nach Luft. Sie musste handeln, aber wie? Sie konnte mit dieser Präsenz nicht in Verbindung treten, sie konnte sie nicht vertreiben. Aber sie konnte den Schutz der Ahnen berufen und den Einfluss lindern. Sie war vorbereitet – und bettet zwei bemalte Runensteine links und rechts in Schläfenhöhe neben den Kopf des Mannes, desgleichen auf Herzhöhe, Hüfthöhe, Fusshöhe. Sie beließ die Zeichnung auf seiner Stirn und das Amulett auf dem Herzen – und brachte dadurch das Toben in seinem Inneren etwas zur Ruhe, als ob man Öl auf die Wogen gießt. Kein Auslöschen, kein Verhindern, aber doch soweit, dass er etwas Kraft im Schlaf finden konnte, ohne von seinen Wahnvorstellungen heimgesucht zu werden – für den Moment.
Endlich krabbelte sie aus dem Zelt heraus – und sah erstaunt, wer sich alles eingefunden hatte. Ihr Bericht über das Erfahrene folgte – und auch die Erklärung, dass die Schutzzauber der Arkanen Magier zwar nicht dem Opfer helfen, aber dass sie eine Ausbreitung der Verseuchung im Gewebe – und auch ein Eindringen des verseuchten Gewebes von außen in den Astralraum abhalten würde.
Noch einmal schaute sie auf das Zelt, von wo jetzt kein illuskanisches Gestammel mehr zu hören war, sondern tatsächlich leise Schnarchlaute.
„Legt eure Schutzzauber herum, um alle zu schützen, um das in Schach zu halten, was sich ausbreiten will“ Mit diesen Worten wankte sie fort, um selber zu Kräften zu kommen. Damit sie weiter von Nutzen sein konnte.
_________________ 'Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung' ~ Eugène Ionesco
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